Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
ihre Amme sich lange genug in ihrer Kammer aufgehalten hatte.
    »Wenn Ihr dies wünscht …« Gekränkt richtete sich die Alte auf und ließ den Deckel der schweren Eichentruhe geräuschvoll ins Schloß fallen. »Ich wasche meine Hände in Unschuld. Kann ich sonst noch etwas für Euch tun, ehe das Geleit der Herrin Abekke eintrifft?«
    Philippa zögerte einen Augenblick, beschloß dann aber, sich Roswitha mit einem Auftrag vom Halse zu schaffen.
    »Lauf doch bitte hinunter und erkundige dich auf dem Hof, ob der Karren des Händlers Bartholomäus bereits in Lippendorf gesehen wurde. Er soll mich unverzüglich aufsuchen. Am besten, ohne Sebastian oder meinem Vater über den Weg zu laufen.«
    »Bartholomäus?« Die alte Frau spie den Namen aus wie ein Stück verdorbenes Fleisch. Ihr Kinnband hatte sich schon wieder gelöst und tanzte wie ein Lätzchen über ihren gewaltigen Busen. Der Buchhändler war nicht sonderlich beliebt im Ort, wie ihr Zögling genau wußte; Krämer, Salz- und Pelzhändler, Haubenmacher – die waren wichtig für das Gut, weil sie doch Waren feilboten, welche die Bauern, ob frei oder hörig, brauchten, um den Winter zu überstehen.
    »Euer Bruder hat dem verlausten alten Gauner verboten, sich noch einmal mit seinem wurmstichigen Karren auf dem Gut sehen zu lassen«, murrte Roswitha. »Glaubt mir, mein Herz, dieser Mensch setzt Euch nur Flausen in den Kopf. Lateinische Bücher und griechische … nun, Unfug eben!« Die Alte hatte sich in Rage geredet. Erhitzt ließ sie sich auf Philippas Schemel neben der Tür sinken und schnappte nach Luft. Warum mußte sie dieses widerspenstige Kind, das nur Schwierigkeiten machte, so gern haben? Sie hätte das Gut längst verlassen können, vor Jahren schon, gleich nach dem Unglück der seligen Herrin, aber sie hatte es nicht übers Herz gebracht, weil sie geahnt hatte, daß ein Mädchen wie Philippa von Bora Ärger anzog wie ein Honigtopf den Bären. Das Kind war mit seinen langen, dünnen Armen und den hohen, slawischen Wangenknochen, dem unverkennbaren Erbe der von Boras, gewiß keine betörende Schönheit, die für den Dienst am Hof der Kurfürstin in Betracht kam. Das einzige, was die Männer an ihr reizvoll fanden, waren ihre seidig glänzenden dunklen Haare, die ihr wie ein Nonnenschleier über die Schultern fielen und die vor Temperament sprühenden schwarzen Augen der Südländer. Der alte Herr von Bora bekam zuweilen einen melancholischen Gesichtsausdruck, wenn er seiner Tochter in die Augen sah. Sie erinnerten ihn an seine tote Gemahlin. Und diese Erinnerung war süß und bitter zugleich.
    »Ich habe bei Bartholomäus eine hebräische Grammatik aus Leipzig bestellt«, erklärte Philippa ungerührt und trat wieder in den Erker zum Hof. Sie öffnete eines der schmalen Spitzbogenfenster mit den kleinen, in Blei gefaßten Butzenscheiben. Über die von Frost glitzernden Felder hüpften ein paar Raben und stocherten mit ihren scharfen Schnäbeln in der gefrorenen Erde nach Würmern. Ihr ärgerliches Gekrächze durchdrang die trübe Stille der Morgendämmerung.
    Der Winter hatte sich für lange Zeit eingerichtet. Zu lange für die Bauern, die wegen des anhaltenden Frostes keine Gelegenheit mehr gefunden hatten, sich um ihre eigenen Äcker zu kümmern. Seit zwei Tagen war die Verpfändung des Dorfes und der beiden Mühlen am Schafgarten rechtsgültig. Ein Ausrufer, dessen blutrotes Wams das Wappen der Medewitzer trug, war auf den Dorfplatz geritten, um in Anwesenheit von Philippas Vater und Sebastian seinen Hut auf einer Stange in die Erde zu bohren und danach die Pfandurkunde an die alte Linde zu nageln. Philippa hatte von ihrem Fenster aus beobachtet, daß der Bote nicht einmal abgestiegen war. Sein höhnisches Grinsen und die laute Stimme hatten deutlich gemacht, daß die schlechten Zeiten für Philippas Familie noch längst nicht überstanden waren. Philippa wurde unbehaglich zumute, als sie sich in Erinnerung rief, wie klein und bleich ihr Vater am Pfandtag in seinem schwarzen Lederrock und mit der schweren Silberkette ausgesehen hatte. Die Medewitzer hatten indessen keine Zeit vergeudet und ihre neuen Hörigen gleich für den nächsten Tag zum Hand- und Spanndienst auf die Burg befohlen. Das einzige Privileg, das sie den von Boras beließen, bestand in der Eintreibung der Zehnten und Gülten und in der bevorstehenden Verbindung zwischen Sebastian und Abekke von Medewitz.
    »Hebräische Grammatik!« Roswitha nahm ein kleines Kissen vom Boden auf und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher