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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra
Autoren: Guido Dieckmann
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macht es Euch Spaß, mich in diesem Gewirr aus unnützer Gelehrsamkeit nach Euren Festgewändern suchen zu lassen? Wo habt Ihr den goldenen Brokat Eurer Tante gelassen? Und das Mieder mit den aufgestickten Glockenblumen? Tretet doch endlich vom Fenster zurück!«
    Roswitha stützte beide Arme in die Hüften. Trotz der winterlichen Kälte, die mit beißender Gewalt durch das Mauerwerk in die Stube ihrer Herrin drang, glitzerten dicke Schweißtropfen auf ihrer zerfurchten Stirn. Verstimmt starrte sie ihr Ziehkind an, das, inzwischen vollständig bekleidet, am Bogen des kleinen Erkers lehnte und durch die geöffneten Bleiglasfenster gedankenverloren über die Felder blickte. Die Amme atmete scharf aus und strich sich mit wachsendem Unmut über ihr Doppelkinn. Hatte das verträumte Ding ihr überhaupt zugehört? Sie konnte doch nicht vergessen haben, welche Bedeutung der heutige Tag für die Lippendorfer hatte. In wenigen Stunden sollte der hohe Gast des jungen Herrn Sebastian auf dem Hof eintreffen. Philippa mußte die Pflichten der verstorbenen Hausherrin übernehmen. Roswitha schloß die Augen und sandte ein stummes Gebet zum Himmel, als sie an die Unordnung dachte, die im Gemach ihrer jungen Herrin herrschte. In der kleinen Kammer stapelten sich Bücher, Rollen, Schreibfedern, scharfe Elfenbeinstilette zum Anspitzen sowie bauchige Krüge, die bis zum Rand mit schwarzer Galltinte gefüllt waren. Doch wo um alles in der Welt bewahrte die Tochter des Gutsherrn ihre Roben für feierliche Anlässe und die guten Schleier auf? Wo das gerollte Leinen, um die Gemächer der Gäste herzurichten? Hoffnungsvoll öffnete die alte Frau eine der drei bunt bemalten hölzernen Wandtüren gleich neben dem Alkoven. Aus dem Dunkel des Schrankes kamen immerhin ein vergilbter Kopfputz, mehrere Decken aus schwerem Brokat und zwei samtene Kleider mit Stickereien und Goldborten zum Vorschein. Jammernd klaubte Roswitha ihren zerknitterten Fund von den Holzdielen auf und machte sich daran, die nur noch schwach glänzenden Fäden und Borten zu entwirren.
    Ich kann dem Mädchen seine Mutter nicht ersetzen, ging es der Amme durch den Kopf, während sie sich abmühte, eine hoffnungslos zerknitterte Seidenhaube mit der flachen Hand zu glätten. Es war töricht gewesen, es überhaupt jemals zu versuchen, und der alte Herr war sein Leben lang zu nachsichtig gewesen. Man durfte dem Kind keinen Vorwurf machen, daß es nicht so anmutig war und weniger weibliche Tugenden entwickelt hatte als die übrigen Frauen der Familie. Doch was hilft es, sie in Schutz zu nehmen? überlegte Roswitha. Sie macht es ihren Mitmenschen nicht gerade einfach. Keine Gastmahle mit den adligen Söhnen und Töchtern der Nachbargüter, keinen Besuch der Kirchweih. Niemals Jagdgesellschaften, es sei denn allein in Gesellschaft ihres Vaters. Wenn ihre Verwandten am Maifeiertag auf die Straßen und Plätze zogen, um zu tanzen und sich zu vergnügen, blieb Philippa in ihrer düsteren Kammer am Schreibtisch zurück und las. Immer nur Bücher, dachte die Amme, während sie die wenigen brauchbaren Kleider ihres Schützlings zurück in die Truhe legte. Als ob die Welt aus Papier und Druckerschwärze bestünde. Aber lag es in ihrer, Roswithas, Macht, dem Kind den Kopf zurechtzurücken? Sie war nicht mehr als eine Dienstmagd auf dem Rittergut der Herren von Bora.
    »Philippa, mein Herz«, begann die Alte schließlich ihrem Zögling zu schmeicheln, »ich werde Eurem Vater nicht verraten, wie nachlässig Ihr mit der Aussteuer Eurer seligen Frau Mutter umgeht. Aber erklärt mir um Himmels willen, was Ihr nun für den Empfang der Jungfer Abekke zu tragen gedenkt. Sie ist immerhin …«
    »Ja, ich weiß, sie ist Sebastians Braut, die Erbin von Medewitz und – wenn es nach ihrem Willen ginge – gewiß auch bald unser aller gnädige Gebieterin.«
    Philippa von Bora trennte sich nur widerstrebend von ihrem Lieblingsplatz. Langsam ging sie zum Alkoven hinüber. Aus den tiefer gelegenen Räumen drangen Geräusche an ihr Ohr, wie sie zu einem langsam erwachenden Haus gehörten. Mägde klapperten mit Geschirr. Eine Stimme beschwerte sich darüber, daß der schwere Kupferkessel nicht gesäubert worden und die Tür zur Räucherstube über Nacht offengeblieben war. Im nächsten Augenblick wurde ein Karren über das Kopfsteinpflaster in Richtung der Ställe gezogen.
    »Es gehört sich nicht, in einem derartigen Ton über seine zukünftige Schwägerin zu reden, teure Philippa«, tadelte Roswitha und
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