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Funkensommer

Funkensommer

Titel: Funkensommer
Autoren: Michaela Holzinger
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Herzbrennen
    Anfangs ist es immer nur ein Windhauch. So zart, dass er kaum etwas zu ändern vermag. Er kitzelt mich an den Haaren oder streift verheißungsvoll über meine Wangen. Damit ich nicht umkehre. Damit ich weitermache. Nach vorne presche.
    Und bald darauf wird er stärker. Er löst ein, was er versprochen hat. Aus dem Windhauch formt sich ein Luftzug. Aus dem Luftzug eine Brise. Eine Brise, die an Kraft gewinnt. An Tempo.
    Dadurch verändert sie alles. Denn sie ist wild und unberechenbar. Sie klatscht mir ins Gesicht. Und presst meine Nasenflügel zusammen, bis ich nach Luft schnappen muss. Mein Herz beginnt zu pochen. Ebenfalls im wilden und unberechenbaren Rhythmus. Bis meine Gedanken zu fliegen beginnen. Und schließlich verschwinden.
    Dann werde ich ruhig. Ich werde ruhig inmitten der tosenden Bewegung, die an meinen Kleidern rüttelt. Und mir die Haare ins Gesicht peitscht.
    Ich schmecke ihren Duft. Sie schmeckt nach Freiheit.
    Ich lausche ihrem Klang. Sie klingt nach Aufbruch.
    Während die kraftvollen Bewegungen unter mir weit ausholen. Und mich weiterbringen.
     
    Das ist auch der Grund, warum ich mich immer wieder in den Sattel schwinge. Weil es ein unglaubliches Gefühl ist. Weil die Luft da oben anders ist. Freier.
    Ich habe nämlich ein Pferd. Ein eigenes. Nur für mich allein. Das ist einer der wenigen Vorteile, wenn man auf einem Bauernhof lebt. Lanzelot, so heißt mein Pferd. Er ist ein brauner Wallach mit weißer Blesse. Seitdem ich in der Stadt zur Schule gehe, habe ich kaum noch Zeit für ihn. Ich will nämlich Matura machen. Auch wenn Papa meint, dass ich als Bäuerin keine Matura brauche. Ich schon. Ich weiß noch nicht, was ich später einmal werden will, aber die Matura will ich haben. Dann könnte ich vielleicht Tierärztin werden. Eine Tierärztin mit einem eigenen Bauernhof. Das wäre doch gut, oder? Oder doch nicht.
    Ich muss mich ja mit sechzehn noch nicht entscheiden müssen. Viel ist passiert in der letzten Zeit. Nicht nur wegen der Schule. Auch sonst irgendwie.
    Ein paar Schwalben ziehen über meinen Kopf hinweg und jagen den Mücken nach. Irgendwo brummt ein Mähdrescher. Der heiße Juniwind klebt an mir. An meinem Rücken, an meinen Händen, auf meiner Stirn. Und auch auf Lanzelot. Unruhig scharrt er mit den Hufen. Das Klappern von Papas alter Schubkarre macht ihn nervös. Und dann fangen auch noch die Schweine wie verrückt zu grunzen an, als die Schubkarre mit dem Futter in Richtung Freilaufstall angeschoben kommt. Von Papa. In Gummistiefeln und Latzhose. Die Schweine brüllen vor Begeisterung. Hunger, schreien sie. Oder: Futter. So genau kann man das nicht sagen. Auf alle Fälle machen hungrige Schweine einen Höllenlärm. Bis hinauf in den Himmel. Bis der Lärm explodiert. Und Lanzelot auch.
    Rasch stiefelt Papa zu mir und versucht, Lanzelot zu beruhigen, damit ich den Sattelgurt festziehen kann. Die Schweine protestieren.
    »Vergiss nicht Hannah, dass du nachher die Stallarbeit für uns fertig machen musst. Du weißt schon, wegen dem Fest!«, schreit Papa. Das Schweine-Gebrüll ist ohrenbetäubend.
    Ich nicke. Lanzelot sabbert. Und wie. Weißer Schaum tropft aus seinem Maul und hinterlässt auf dem dunklen Asphalt eine bizarre Schaumwölkchenlandschaft.
    »Aha! Den sticht der Hafer«, bemerkt Papa und lacht mich dabei total komisch an. »Ja, so ist das – der Wind an Sonnenwend macht alle verrückt. Stand das nicht auch heute im Bauernkalender?« Er überlegt. »Wie war das noch gleich: Bläst der Wind an Sonnenwend, das junge Herz vor Liebe brennt?! «
    In meinem Kopf fängt es zu rumoren an. Weiß Papa etwa Bescheid? Ich werde rot wie eine Tomate, oder vielleicht sogar wie zwei. Oder sogar wie Tomatensuppe.
    »Wir müssen jetzt los …«, stammle ich und bin froh, als Papa den Blick von meinem verräterischen Tomatensuppengesicht ab- und sich wieder den brüllenden Schweinen zuwendet, um mir nicht mit seinen dämlichen Bauernkalendersprüchen auf den Geist zu gehen.
     
    Dann biegen wir in den Waldweg ein. Das ist meine Lieblingsreitstrecke. Kilometerweit ist hier nichts zu sehen. Da kann ich Lanzelot laufen lassen. Ich verlagere mein Gewicht nach vorne. Lanzelot ist kaum noch zu bremsen. Papa hatte wohl recht. Mit dem Hafer, meine ich. Mit donnernden Hufen prescht er über den Boden.
    Da-damm, Da-damm, Da-damm … Schon klatscht mir die Brise ins Gesicht. Sie presst sich auf meine Nase und lässt mich nach Luft schnappen, so wie sie es versprochen hat. Pferdegeruch
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