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Die Märchen von Beedle dem Barden

Die Märchen von Beedle dem Barden

Titel: Die Märchen von Beedle dem Barden
Autoren: J.K Rowling
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hatte seinen Haferbrei noch nicht einmal angerührt, als es abermals an der Tür klopfte.
    Ein alter Mann stand davor.
    »Meine alte Eselin, Herr«, sagte er. »Die hat sich verlaufen oder ist gestohlen worden, und ohne sie kann ich meine Ware nicht zum Markt bringen, und meine Familie wird heute Abend Hunger leiden.«
    »Und ich bin jetzt hungrig!«, brüllte der Zauberer und schlug dem alten Mann die Tür vor der Nase zu.
    Klirr, klirr, klirr, machte der einzelne Messingfuß des Kochtopfs auf dem Boden, doch nun vermischte sich sein Lärm mit Eselsgeschrei und dem Stöhnen von hungrigen Menschen, das aus den Tiefen des Topfes heraufhallte.
    »Bleib stehen. Sei still!«, kreischte der Zauberer, aber all seine magischen Kräfte konnten den warzigen Topf nicht zum Verstummen bringen, der ihm den ganzen Tag hüpfend auf den Fersen blieb und schrie und stöhnte und klirrte, wohin der Zauberer auch ging und was er auch tat.
    An jenem Abend klopfte es ein drittes Mal an der Tür, und auf der Schwelle stand eine junge Frau, die schluchzte, als wollte ihr das Herz brechen.
    »Mein kleines Kind ist schwer krank«, sagte sie.
    »Helft uns doch bitte! Euer Vater hieß mich kommen, wenn ich Sorgen hätte —«
    Aber der Zauberer schlug ihr die Tür vor der Nase zu.
    Und nun füllte sich der lästige Topf bis zum Rand mit salzigem Wasser und verschüttete Tränen über den ganzen Boden, während er hüpfte und schrie und stöhnte und ihm noch mehr Warzen wuchsen.
    Obgleich für den Rest der Woche keine Dorfbewohner mehr kamen, um im Haus des Zauberers Hilfe zu suchen, kündete der Topf ihm von ihren zahlreichen Leiden. Nach wenigen Tagen schrie er nicht mehr nur und stöhnte und schwappte über und hüpfte und bekam Warzen, sondern er röchelte auch und würgte, weinte wie ein kleines Kind, winselte wie ein Hund und spie ranzigen Käse aus und saure Milch und eine Plage hungriger Schnecken.

    Mit dem Topf an seiner Seite konnte der Zauberer nicht essen und nicht schlafen, doch der Topf wollte nicht weggehen, und der Zauberer konnte ihn nicht zum Schweigen bringen oder ihn zwingen stillzustehen.
    Schließlich konnte es der Zauberer nicht mehr länger ertragen.
    »Bringt all eure Kümmernisse, all eure Beschwerden und eure Leiden zu mir!«, schrie er und floh in die Nacht hinaus, während der Topf hinter ihm her den Weg zum Dorf entlanghüpfte. »Kommt! Ich will euch heilen, euch zusammenflicken und euch trösten! Ich habe den Kochtopf meines Vaters und ich werde euch gesund machen!«
    Und während der widerliche Topf immer noch hinter ihm hersprang, rannte er die Straße entlang und schickte Zauber in alle Richtungen.
    In einem Haus verschwanden die Warzen des kleinen Mädchens, während es schlief; die verirrte Eselin wurde von einem fernen dornigen Feld herbeigezaubert und sanft in ihrem Stall abgesetzt; der kranke Säugling wurde in Diptam getaucht und erwachte gesund und rosig. In jedem Haus, wo Krankheit und Sorge herrschte, tat der Zauberer sein Bestes, und mit der Zeit hörte der Kochtopf neben ihm auf zu stöhnen und zu würgen und wurde still, blank und sauber.
    »Nun, Topf?«, fragte der zitternde Zauberer, als die Sonne allmählich aufging.
    Der Topf spie mit einem Rülpser den einzelnen Pantoffel aus, den der Zauberer in ihn hineingeworfen hatte, und ließ es zu, dass er ihn über den Messingfuß zog. Gemeinsam machten sie sich wieder auf den Weg zum Haus des Zauberers, der Topf nun endlich gedämpften Schrittes. Doch von diesem Tag an half der Zauberer den Dorfbewohnern, wie es vor ihm sein Vater getan hatte, damit der Topf nicht seinen Pantoffel abwarf und abermals zu hüpfen begann.

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    Albus Dumbledore zu
»Der Zauberer und der hüpfende Topf«
    Ein gütiger alter Zauberer beschließt, seinem hartherzigen Sohn eine Lektion zu erteilen, indem er ihm eine Kostprobe vom Leid der ortsansässigen Muggel gibt. Das Gewissen des jungen Zauberers erwacht, und er erklärt sich bereit, seine Zauberkraft zum Wohle seiner nichtmagischen Mitmenschen einzusetzen. Ein einfaches und herzerwärmendes Märchen, könnte man meinen — und würde sich damit als naiver Einfaltspinsel zu erkennen geben. Eine muggelfreundliche Geschichte, die einen den Muggeln wohlgesinnten Vater zeigt, der seinem Sohn, einem Muggelhasser, in magischen Dingen überlegen ist? Es ist geradezu verblüffend, dass überhaupt Exemplare der ursprünglichen Version dieses Märchens die Flammen überlebt haben, denen sie so oft übergeben wurden.
    Beedle
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