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Die Macht

Die Macht

Titel: Die Macht
Autoren: Vince Flynn
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vertraten.
    Es hatte Momente gegeben, in denen Rapp sich fragte, ob er mit dem, was er tat, irgendetwas erreichte. Schließlich gab es noch immer jede Menge von diesen Verrückten, die Amerika am liebsten ausgelöscht hätten. In diesen seltenen Momenten der Zweifel und des Selbstmitleids neigte Rapp zu der Ansicht, dass seine Bemühungen völlig umsonst waren. Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass es nicht so war. Er hatte sich nie die Mühe gemacht nachzuzählen, wie viele er getötet hatte; er wollte es verständlicherweise gar nicht wissen. Außerdem hätte sich die genaue Anzahl ohnehin nicht ermitteln lassen. Wenn man mit Maschinengewehren und Sprengstoff kämpfte, konnte man die Gefallenen nicht so einfach zählen – doch die Zahl war mit Sicherheit sehr hoch. Rapp wusste, dass es deutlich über fünfzig sein mussten, vielleicht sogar über hundert – und das waren nur jene, die er von eigener Hand getötet hatte. Wenn man noch berücksichtigte, wie oft er Sondereinsatzkräfte dabei unterstützt hatte, irgendwelche Feinde auszuschalten, dann kam man leicht auf die doppelte oder dreifache Zahl.
    Doch diese Zeiten lagen hinter ihm – zumindest hoffte er, dass es so war. Es würde aber nicht ganz so einfach werden, sich ins Privatleben zurückzuziehen, nachdem er jahrelang an vorderster Front gekämpft hatte. Rapp war sehr, sehr gut in seinem Job. Und wenn man das Drumherum wegließ, so bestand sein Job darin, zu töten. Er war ein durchaus intelligenter Mensch, er sprach fließend arabisch, französisch und italienisch, er hatte analytische und organisatorische Fähigkeiten – aber wenn man es auf das Wesentliche reduzierte, dann war er ganz einfach ein Killer. Doch er war immerhin ein Killer im Auftrag der USA; er war die Speerspitze, der Mann fürs Grobe, der die Feinde Amerikas bekämpfte, die sich schworen, dem Land und seinen Menschen Tod und Verderben zu bringen. Auch heute, im Zeitalter der lasergesteuerten Bomben und der »surgical strikes«, bei denen einzelne Objekte ganz gezielt ausgeschaltet wurden, brauchte man jemanden wie Mitch Rapp, der oft monatelang in Ländern des Mittleren Ostens operierte und dabei so gut wie keine Unterstützung von seinen Vorgesetzten in Washington erhielt. Er spürte seine Opfer auf, beschattete sie und schlug schließlich im richtigen Moment zu. Trotz seiner Erfolge wusste nur eine Hand voll Leute von seiner Tätigkeit. Das Orion-Team war eines der bestgehüteten Geheimnisse in Washington; es gab keine zehn Personen, die je von seiner Existenz gehört hatten.
    Rapp wusste, dass es nicht wenige in Washington gab, die außer sich gewesen wären, wenn sie erfahren hätten, was er in den vergangenen zehn Jahren alles getan hatte. Zum Teil konnte er diese Bedenken auch durchaus verstehen. Er hatte selbst genug Machtmissbrauch miterlebt – aber nicht durch ihn oder Irene Kennedy. Es war sehr wohl notwendig, dass der Kongress die Aktivitäten der CIA mit wachsamen Augen verfolgte, doch das änderte nichts daran, dass auch Geheimoperationen ihren Sinn hatten. Schließlich hatte es sich immer wieder gezeigt, dass Politiker außerstande waren, Geheimnisse für sich zu behalten. Sie hatten von Berufs wegen so viel mit anderen Menschen zu tun, dass die meisten von ihnen gar nicht anders konnten, als alles auszuplaudern, was sie wussten. Dies war jedenfalls die Ansicht, die in Geheimdienst- und Militärkreisen weit verbreitet war. Die Politiker wiederum betrachteten die Leute in der CIA und im Pentagon als einen Haufen schießwütiger Cowboys, die man an der kurzen Leine halten musste, damit sie keine Dummheiten machten.
    Bis zu einem gewissen Grad gab Rapp beiden Seiten Recht. Es war hier wie dort schon genug vorgefallen, was genau diesen Vorurteilen entsprach. Die CIA hatte sich tatsächlich schon auf so manches leichtsinnige Abenteuer eingelassen, bei dem die Erfolgsaussichten gleich null waren und das auch in Rapps Augen völlig hirnverbrannt war. Genauso hatte es immer wieder Politiker im Kongress gegeben, die streng geheime Informationen an die Medien weitergaben, um dem politischen Gegner zu schaden. So liefen die Dinge nun einmal in Washington, und das nicht erst seit gestern, sondern seit vielen Jahren.
    Die Menschen in den Vereinigten Staaten genossen ein hohes Maß an Rechten und persönlichen Freiheiten und konnten sich gar nicht mehr vorstellen, wie hart es in anderen Teilen der Welt zuging. Gewiss wären die meisten Amerikaner schockiert gewesen, wenn sie
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