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Die Macht

Die Macht

Titel: Die Macht
Autoren: Vince Flynn
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sich an seinen engen Freund Colonel Wild Bill Donovan zu wenden. Donovan, ein New Yorker Anwalt, der im Ersten Weltkrieg in Frankreich gekämpft hatte und mit der Medal of Honor ausgezeichnet worden war, war einer von Roosevelts engsten Beratern. Auf Donovans Drängen ließ Roosevelt das Office of Strategie Services gründen. Donovan begann sogleich damit, in der Army und an den Universitäten nach fähigen jungen Männern mit entsprechenden Sprachkenntnissen zu suchen, die dem OSS helfen konnten, abgefangene Botschaften der Achsenmächte zu analysieren. Donovan war überzeugt, dass Amerika früher oder später in den Krieg eintreten würde. Und so bereitete er sich darauf vor, Amerikaner hinter den deutschen Linien abzusetzen, um bei der Organisation des Widerstands mitzuhelfen, Informationen zu sammeln und, falls der Befehl dazu kam, gezielte Anschläge zu verüben.
    Thomas Stansfield war einer von Wild Bill Donovans fähigsten Rekruten. Der dünne Farmerjunge aus den Steppen von South Dakota sprach fließend deutsch und norwegisch und konnte sich auch in Französisch gut verständigen. Während des Krieges sprang Stansfield mit Fallschirmtruppen zuerst in Norwegen und später in Frankreich ab. Obwohl er erst Anfang zwanzig war, hatte er bereits das Kommando über eines der schlagkräftigen Jedburgh-Teams inne. Nach dem Krieg wies General Eisenhower darauf hin, dass die Invasion in Frankreich ohne den beherzten Einsatz der Jedburgh-Teams kaum möglich gewesen wäre, die entscheidend mithalfen, den Widerstand im Land zu organisieren, wichtige Informationen zu sammeln und in den ersten Tagen der Invasion die deutschen Truppenbewegungen empfindlich zu stören. Thomas Stansfield war einer der tapferen Männer gewesen, die monatelang hinter den feindlichen Linien operierten und den Invasionstruppen den Weg ebneten. In den Stunden vor dem D-Day zerstörten Stansfield und seine Leute eine wichtige Eisenbahnlinie.
    Nach dem Krieg arbeitete Stansfield weiter im Dienste seines Landes. Als 1947 die CIA gegründet wurde, war er einer der ersten Mitarbeiter der Agency. Die folgenden vier Jahrzehnte verbrachte er überwiegend in Europa – und zwar fast ausschließlich hinter dem Eisernen Vorhang. Er war sehr erfolgreich, wenn es darum ging, Rekruten in den jeweiligen Ländern anzuwerben. In den Achtzigerjahren war Ronald Reagan so beeindruckt von Stansfields Arbeit, dass er ihn zum Station Chief der CIA in Moskau machte, weil er wusste, dass Stansfield mit seiner unerschütterlichen Ruhe die Russen zur Verzweiflung bringen würde. Danach holte man ihn nach Hause, wo er zuerst den Posten des stellvertretenden Direktors der Operationsabteilung übernahm, um bald darauf Direktor der Central Intelligence Agency zu werden. Er hatte seinem Land hervorragend gedient und nie einen Dank dafür erwartet. Zuletzt hatte ihn Präsident Hayes an seinem Totenbett besucht und ihm mitgeteilt, dass man vorhabe, ihn mit allen militärischen Ehren im Arlington National Cemetery beizusetzen. Schließlich sei dies das Mindeste, was das Land für einen Mann tun könne, der ihm so viel gegeben hatte. In seiner typischen bescheidenen Art lehnte Stansfield das Angebot des Präsidenten ab; er meinte, dass er es vorziehe, dort beerdigt zu werden, wo er zur Welt gekommen war. Er wollte keinen Pomp und keine große Zeremonie – nur eine schlichte Begräbnisfeier, wie es sich für einen Menschen ziemte, der sein Leben abseits der Öffentlichkeit geführt hatte.
    Irene Kennedy strich sich eine tränenfeuchte Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie vermisste den Mann jetzt schon. Wie sie so im kalten Wind stand, fühlte sie sich so allein wie noch nie in ihrem Leben. Gewiss war es ungeheuer schmerzhaft gewesen, als sie ihren Vater durch einen Bombenanschlag in Beirut verlor – doch es gab einen entscheidenden Unterschied zu ihrer heutigen Situation: Damals wurde nichts von ihr erwartet. Sie nahm sich eine sechsmonatige Auszeit und reiste um die Welt, um Antworten auf ihre Fragen zu finden. Diesmal war ihr dieser Luxus nicht vergönnt. Zunächst einmal gab es Tommy, ihren überaus wissbegierigen sechsjährigen Sohn. Es kam nicht infrage, sich vor dieser Verantwortung zu drücken, wie es einst Tommys Vater getan hatte. Irene würde dem wichtigsten Menschen in ihrem Leben bestimmt nicht eine zweite derartige Enttäuschung bereiten. Doch Tommy war auch nicht das Problem; was ihr viel größere Sorgen bereitete, war Washington.
    Irene Kennedy blickte nach Westen zu den
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