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Die Macht des Amuletts

Die Macht des Amuletts

Titel: Die Macht des Amuletts
Autoren: Catherine Fisher
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wöchentlichen Unterricht, den Satz, den sie im Orchester spielten, und endlich erleichtert das, was er am meisten liebte: die Folksongs und die Reels, die schottischen Volkstänze. Das waren die Stücke, die er spielen konnte und bei denen seine Finger jetzt schnell und warm und geschmeidig waren. Die meisten kannte er auswendig und sie machten ihn unruhig. Es waren wilde, tanzende Wirbel, und während er sie spielte, ging er von Speicher zu Speicher, an aufgestapelten Kisten entlang, durch Korridore ins Kinderzimmer mit dem kaputten Schaukelpferd, wo er sich auf den Sattel stützte und in die langsamen, kummervollen Töne eines Klagelieds hinüberglitt. Er hatte es sich ausgedacht und es hatte noch keinen Namen, es war vor allem traurig. Tieftraurig.
    Seine eigenen heftigen Worte fielen ihm wieder ein. Er verdrängte sie ungestüm und legte alles in die Musik, seinen ganzen Ehrgeiz, seinen brennenden Wunsch. Er würde sich für die Musik entscheiden, egal was sein Vater sagte, er würde Berufsmusiker und noch dazu berühmt werden. Einen Moment lang erlaubte er sich, von Auftritten und CDs und tollen Sessions in Hightechstudios zu träumen. Die Flötentöne wurden länger, trauriger. Er könnte es schaffen. Er würde es schaffen. Er musste nur üben, besser werden. Mehr als das, dachte er entschlossen. Der Beste sein. Der Beste, den es je gab.
    Plötzlich brach er ab und schaute auf die Uhr. Halb elf. Jetzt würden sie aufhören. Sein Vater würde die letzte Vorhand übers Netz schmettern und Sandy würde sie verfehlen und lachen. Beim Badminton war sie hoffnungslos, aber sie lachte trotzdem. Das Baby würde in der Ecke liegen und in seiner Tragetasche schlafen. Mick fragte sich, ob noch jemand ein Baby mit ins Sportzentrum nahm. Immerhin war das besser, als wenn er sich um die Kleine kümmern musste. Sandy wollte sie immer in der Nähe haben, das war natürlich. Aber sein Vater war genauso von ihr besessen. Er spielte ein leises Ais und einen G-Triller. Dann setzte er die Flöte ab und horchte. Weit entfernt, gerade hörbar war da ein dumpfes Schlagen. Langsam wurde ihm das Geräusch bewusst, als hätte er es schon lange vernommen. Es klopfte rhythmisch wie sein Herz, aber weit weg, sehr weit weg. Nicht im Haus, sondern draußen, stellte er fest. Er rutschte vom gefleckten Schaukelpferd, ließ es wippen und ging ans Fenster. Von diesem Flügel aus sah man hinunter auf den Ostrasen; dahinter standen die Bäume als dunkler Rand in der Dämmerung. Der Mond hing darüber und Hunderte Motten schwebten in der Luft. Als Mick den Kopf hinausstreckte, streiften und knisterten sie um das erleuchtete Fenster, hinter dem die Lampe brannte, es lag vier Räume weiter. Das ferne Geräusch kam von einem Pferd. Es galoppierte schnell; er konnte es noch nicht sehen, nur hören, als käme es von unglaublich weit her und brauchte eine Ewigkeit, um anzukommen – nicht über den Kies, sondern übers Gras, obwohl der große Rasen leer in der Nacht lag. Eine Eule rief aus dem Wald. Der Hufschlag wurde lauter; sein Rhythmus war im Boden und in Micks Kopf und jetzt vibrierten sogar die Spinnweben am Fenster mit dem tiefen Pochen oder mit dem Hämmern seines Herzens in der Stille. Und plötzlich, zwischen einem Schlag und dem nächsten, sah er es kommen, als würde es aus dem Nichts auftauchen, es näherte sich über die Oberfläche des Sees und weiter übers dunkle Gras. Ein weißes Pferd, das im Mondschein glänzte, als wäre es nass. Winzige silberne Glocken hingen an seinem Geschirr. Mick hörte sie in der warmen Luft klingen und selbst von hier aus sah er, dass jemand auf dem Pferderücken saß, in heller Kleidung, die um Gesicht und Schultern wirbelte.
    Schnell duckte er sich unters Sims. Ein Schauer überlief ihn, alle Haare auf den Handrücken sträubten sich. Pferd und Reiter kamen über den Rasen, bis sie unter dem Fenster im Schatten standen. »Mick.«
    Die Stimme war zart, ein leiser Ruf. »Mick!«
    Zuerst dachte er, es sei Katie, die einen Tag früher gekommen war; aber es war nicht ihre, es war eine ältere Stimme, die ihm merkwürdig vertraut vorkam, obwohl er sie bestimmt nie zuvor gehört hatte.
    Die Flöte in seiner Hand zitterte, als würde er erschauern. »Komm herunter, Mick. Ich warte auf dich.« Mit großer Anstrengung stand er auf und packte den glatten Holzrahmen. »Wer sind Sie?«, flüsterte er. Das Pferd bewegte sich mit klimpernden Glöckchen. Weit entfernt bellte ein Hund auf dem Wohnwagenplatz. »Komm
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