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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen
Autoren: Cassandra Negra
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alles mitgehört hatte, die Treppe des Präsidiums hinunter. Sie sprangen ins Auto.
    »Jetzt zählt jede Minute, wir müssen uns beeilen«, rief die Profilerin.
    Inzwischen hatte Wenger sich wieder beruhigt, seine Gedanken geordnet und begann die Suche nach seinem Opfer.
    Wohin konnte sie in der kurzen Zeit gelangt sein?, überlegte er. Er musste sie finden, denn sonst würde er auffliegen. Sie hatte sein Gesicht gesehen, konnte ihn beschreiben. Wenn er sie nicht wieder in seine Gewalt brachte, war es vorbei.
    Panik ergriff ihn. Ob sie nach draußen gelangt war, auf die Straße? In diesem Moment hörte er schon die Sirene des Einsatzwagens, und ihm war klar, was passiert war.
    Er musste verschwinden. Schnell weg.
    Jetzt gab es nur noch einen Ort, an den er gehen konnte. Ein schwerer Weg würde es werden, sein letzter vermutlich, und er hatte Angst, große Angst.
    Was würde ihn erwarten auf diesem Weg? Einige beängsti gende Bilder schossen ihm durch den Kopf. Wie schlimm würde es werden, würde er leiden müssen, und wenn ja, wie schrecklich würden seine Schmerzen wohl sein?
    Er hatte sich auf das Ende vorbereitet und gedacht, dass er bereit sein würde. Aber jetzt schien alles nicht mehr so leicht zu sein, wie er geglaubt hatte. Was würde wohl kommen, wenn das Hier und Jetzt vorbei war? Natürlich hatte er die Hoffnung, dass er wieder aufwachen würde, vielleicht sogar in der Nähe seines Führers.
    Aber was, wenn all das nur Wunschdenken war?
    Lea und Max hatten inzwischen das Institut für Rechtsmedizin erreicht, wo der Anrufer, ein älterer türkischer Herr, sie schon erwartete. Nervös trat er von einem Fuß auf den anderen und nestelte an seinem Hemd. Dem Mädchen hatte er seinen Mantel umgelegt und es gerubbelt, damit ihm wieder warm wurde. Die junge Frau schien fast erfroren zu sein; sie zitterte und hatte blaue Lippen. Aber Gott sei Dank traf nun auch der alarmierte Notarztwagen ein.
    »Bitte kümmern Sie sich um die junge Frau«, bat Max den Mediziner. »Und ihr geht rein!«, rief er den Männern vom SEK zu, die in die Räume der Pathologie stürmten.
    Dann bat er den Mann, der sie gerufen hatte, ihm alles genau zu erzählen, aber der Befragte schüttelte den Kopf. Er wisse nur das, was er ihm bereits am Telefon erklärt habe, und mehr könne er ihm nicht sagen.
    Der Mann schien vollkommen aufgelöst. Der Schrecken steckte ihm sichtlich in den Knochen.
    »Herr Atam«, sprach Max den geistesabwesenden Zeugen an. »Wohin wollten Sie, als sie dem Mädchen begegnet sind?«
    Er sei auf dem Weg zur Arbeit gewesen, antwortete der Türke wahrheitsgemäß. Schon einige Jahre arbeite er als Bibliothekar in der Berliner Staatsbibliothek. Die Arbeit mache ihm Spaß, schon immer habe er Bücher geliebt. Er möge die Stille, möge es, sich in immer neue Themengebiete zu versenken.
    Ja, überhaupt war er ein zurückgezogen lebender Mann. Einer, der sich nie etwas hatte zuschulden kommen lassen.
    Er blickte den Kommissar an und versuchte ihm zu erklären, dass er jeden Tag mit dem Fahrrad dorthin unterwegs wäre, weil man eben Unter den Linden nie Parkplätze fände. Und dann sei sie ihm einfach vor das Rad gesprungen. Sie sei wie aus dem Nichts gekommen und habe plötzlich vor ihm gestanden. Er habe bremsen müssen, sonst wäre er in sie hineingefahren.

    Lea versuchte währenddessen, mit der jungen Frau zu sprechen, ganz behutsam, beruhigend, bloß nichts überstürzend. Sie betrachtete die Bolivianerin.
    Irgendwo – überlegte sie krampfhaft – hatte sie sie schon einmal gesehen. Aber wo?
    Bilder schossen ihr durch den Kopf – plötzlich erkannte sie die schöne, exotische Frau, die sie vor einigen Wochen mit dem tätowierten Mann auf dem Ausflugsdampfer gesehen hatte.
    War er etwa der kaltblütige Killer?
    Die Kommissarin machte sich Vorwürfe. Aber es half nichts, im Vergangenen herumzustochern. Sie musste nach vorn blicken, wenn sie den Täter fassen wollte.
    »Wie heißen Sie?«, fragte sie behutsam die zitternde junge Frau.
    Es dauerte ein paar Sekunden, aber dann antwortete sie.
    »Adilah Jordan?«, überlegte die Profilerin, nein, diesen Namen hatte sie noch nie gehört. Sie wusste, dass sie das verstörte Mädchen nicht länger bedrängen durfte. Schließlich hatte es gerade die schlimmste Zeit seines Lebens durchlitten.
    Sie versuchte Adilah zu beruhigen, versprach ihr, dass sie alles tun würden, damit ihr nie mehr etwas Derartiges angetan werden konnte. Nur eines wolle sie noch wissen: Ob sie den
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