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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen
Autoren: Cassandra Negra
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Stock sein. Sie rannten die Holzstufen hinauf, die mit einem robusten Treppenläufer aus Sisal belegt waren.
    »Ich werde die Tür jetzt aufbrechen«, flüsterte Max.
    Es war eine alte Holztür, die keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen hatte. Er versetzte ihr einen gezielten Tritt neben das Türschloss, und sie sprang auf.
    »Kriminalpolizei! Herr Wenger, Sie sind festgenommen!«, schrie der Kommissar, als ob er sich mit dem Gebrüll selbst beruhigen und das Böse vertreiben könnte.
    Aber die Wohnung schien leer zu sein.
    »Hier ist etwas«, rief Lea aufgeregt aus dem Schlafzimmer. Max eilte zu ihr.
    »Ein Hund?«, fragte Max. »Ist er tot?«
    Lea nickte. Instinktiv rückte sie etwas näher an den Hund heran und strich über sein Fell.
    »Er ist schon kalt, das heißt, er muss schon eine Weile tot sein.«
    Plötzlich streifte ihr Gesicht seine Schnauze, und sie nahm einen leichten Bittermandelgeruch wahr. Zyankali!
    »Du meine Güte!«, schrie sie vollkommen atemlos. »Das muss der Schäferhund sein, dessen DNA wir am zweiten Tatort gefunden haben!«
    Die Profilerin wusste, dass ihnen keine Zeit blieb. Wenger hatte seinen Hund, den er vermutlich als einziges Lebewesen wirklich geliebt hatte, nicht umsonst getötet. Er rechnete damit, dass er selbst nicht überleben würde. Aber was hatte er vor?
    Sie überlegte noch einmal ruhig. Vielleicht konnte ihr Jack weiterhelfen. Womöglich hatte er eine Ahnung, wohin sein Mitarbeiter geflüchtet sein könnte. Sie tippte seine Nummer in ihr Handy. Doch so sehr sich der Angerufene auch bemühte, konnte er doch keinen Hinweis geben. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie wenig er doch über seinen Mitarbeiter wusste.
    Drei Jahre hatte Wenger für ihn gearbeitet, aber mehr als ein paar Sätze hatte er nie mit ihm gewechselt. Nie war er in die Tiefe gegangen, nie hatte er ihn gefragt, was seine Freundin machte oder wie es seinem Hund ging.
    Nein, er wusste ja bis heute noch nicht einmal, ob er überhaupt eine Freundin oder einen Hund hatte. Eigentlich wusste er gar nichts über ihn. Er hätte genauer hinsehen müssen, hätte nicht nur seinen Mitarbeiter sehen, sondern sich auch für den Menschen interessieren sollen. Stattdessen hatte ihn die ganzen Jahre nur seine Funktion interessiert. Nur der Chauffeur hatte für ihn existiert. Es tat Jack leid, aber er konnte Lea nicht helfen .
    »Doch, vielleicht«, entfuhr es ihm plötzlich, »ein paar Mal, da sagte er mir, als ich ihn angerufen habe, er sei gerade auf dem Invalidenfriedhof und würde gleich bei mir sein und mich abholen. Das hat mich anfangs irritiert, aber ich habe mir darüber keine weiteren Gedanken gemacht. Aber ja, vielleicht ist er dort.«
    Und wieder rasten sie mit Blaulicht durch den dichten Verkehr Berlins. Die Profilerin wusste, dass sie jetzt äußerst vorsichtig sein mussten. Sie durften nicht etwa einen armen, verunsicherten Täter erwarten. Im Gegenteil!
    Sie war sich sicher, dass der Killer hochgradig gefährlich war, denn er hatte seine Mission nicht zum Abschluss bringen können und würde wütend sein. Eine enorme Aggression musste sich in ihm aufgebaut haben, und er würde nur auf einen passenden Moment warten, um sie herauszulassen. Er war wie ein Vulkan kurz vor der Explosion. Die kleinste Erschütterung konnte ihn zum Ausbruch bringen.
    W enger nahm kaum etwas um sich herum wahr. Er war immer noch viel zu aufgewühlt durch die Geschehnisse der vergangenen Stunden. Wie in Trance war er hierhergeeilt. Mit hastigen Schritten lief er durch das eiserne Tor des Invalidenfriedhofs, der zu den ältesten Berliner Friedhöfen gehört, und betrat eine andere Welt.
    Hier, zwischen all den Gräbern, fühlte er sich wohl, hier war er sicher und geborgen. Die Toten konnten ihm nichts anha ben, sie stellten keine Fragen und erwarteten keine Antworten. Außerdem wähnte er sich unter Seinesgleichen. All seine Freunde waren ganz nah bei ihm, er konnte ihre Gegenwart förmlich spüren.
    Sein Blick schweifte über die geschliffenen Gräber einiger Nazigrößen rechts und links des Hauptweges; sukzessive hatte man sie unkenntlich gemacht, die Inschriften ihrer Grabplatten und -steine getilgt. Vielleicht, weil man damit eine ganze Epoche deutscher Geschichte von diesem Ort verbannen wollte.
    Hier auf dem Friedhof musste er sich wegen seiner Gesin nung oder wegen seiner Taten nicht verstecken. Ganz im Gegenteil, hier bekam er Bewunderung und Anerkennung und wurde wie ein Held gefeiert – zumindest in seiner
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