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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen
Autoren: Cassandra Negra
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und musste aufpassen, dass ihre Knie nicht weich wurden. Sie traute ihren Augen nicht. Es war sicher nur ein schrecklicher Traum – wie schon so viele zuvor –, aus dem sie gleich erwachen würde.
    Aber das hier war die Wirklichkeit. Lea musste jetzt schnell handeln, bevor es zu spät war. Sie rannte, ohne an ihr eigenes Leben zu denken, ungedeckt hinüber zu ihrem Kollegen. Sie kniete sich neben Max, legte drei Fingerspitzen ihrer linken Hand auf seine Halsschlagader und versuchte verzweifelt den Puls zu ertasten – nichts. Mit der Schusswaffe in der anderen Hand hielt sie den auf unheimliche Weise ruhigen Wenger in Schach. Sie zitterte.
    Wenger grinste vielsagend und ließ seine Pistole unvermittelt zu Boden fallen.
    Wie wäre es, schoss es Lea kurz durch den Kopf, wenn sie ihn jetzt einfach abknallen würde?
    Erneut wandte sie sich Hofmann zu. Das konnte doch nicht sein, dachte sie verzweifelt! Er hatte keinen Puls mehr . Obwohl sie wusste, was das bedeutete, rüttelte sie an dem leblosen Körper.
    »Oh mein Gott, Max!«
    Ihr Schreien ging in ein leises Flehen über, Tränen standen in ihren Augen und kullerten über ihre Wangen. Aber nichts konnte den Toten wieder zurückbringen.
    Nur für einen winzigen Augenblick ließ sie dabei den irren Killer aus den Augen. Wenger nutzte die Gelegenheit, um eine Cremedose aus seiner Hemdtasche zu ziehen. Bis heute hatte er diesen alten, schon leicht angerosteten Behälter, den er damals bei seiner Exkursion in den Fahrerbunker gefunden hatte, gehütet wie seinen Augapfel. Wer weiß, vielleicht hatte die Zyankalikapsel darin mal den Leibwächtern Hitlers oder vielleicht sogar ihm selbst gehört?
    Lea registrierte sofort, was vor sich ging. Sie musste ihn festnehmen, bevor er sich etwas antun konnte. Doch zu spät!
    Wenger nahm die Zyankalikapsel in den Mund und zerbiss sie. Triumphierend schaute er die Profilerin an, als wollte er sagen: Siehst du, ich bestimme alles, ich habe die Macht, und ich entscheide, wann und wo ich sterbe.
    Aber so leicht wollte sie es ihm nicht machen. Voller Wut stürzte sie auf ihn zu, stellte sich direkt vor seinen geliebten Engel und drückte Wenger ihre Pistole an die Stirn.
    »Du Bastard, jetzt wirst du langsam und qualvoll verrecken«, knurrte sie. »Das Gift wird deinen Körper durchströmen und deine Nerven zerfressen. Und genau das hast du verdient. Ich könnte dir den Gnadenschuss verpassen, aber das wäre viel zu milde für ein Monster wie dich. Jede Kugel wäre reine Verschwendung.«
    Wenger verspürte ein Kratzen im Hals und eine Übelkeit, gepaart mit einer ungeheuren Todesangst. Er fühlte sich schwach und schwächer, obwohl sein Herz raste. Gierig rang er nach Luft und versuchte Sauerstoff in seine Lungen zu saugen. Aber wie sehr er sich auch anstrengte, er konnte nicht mehr atmen.
    Dann wurde es plötzlich dunkel. Er spürte, wie er fiel, hinunter in den Abgrund, und es gab nichts mehr, was ihn davor bewahren konnte.
    Die Kommissarin kam dichter an ihn heran und roch den Bittermandelgeruch.
    Wengers blasse bis rosige Haut begann sich rot zu verfärben – typisch für eine Zyankalivergiftung, bei der die Zellatmung blockiert wird und die Zellen absterben, was den unweigerlichen Tod bedeutet.
    Er krümmte sich. Von Krämpfen geschüttelt warf er sich auf dem Grabstein hin und her. Nein, er wollte nicht weiter hinab in den Abgrund fallen. Aber er stürzte tiefer und tiefer ins Bodenlose – und verlor das Bewusstsein.
    Wie in Stein gemeißelt stand Lea vor ihm. Sie wollte die letzte lebende Person sein, die er in diesem Leben sah und hörte.
    Merkwürdig, grübelte sie, während sie das Sterben des Monsters beobachtete. Sie sah seine leere Hülle und wusste, dass es bald vorbei sein würde. Etwas aber würde für immer im Verborgenen bleiben: sein Seelenleben.
    Sie hatte versucht, seine Persönlichkeit zu durchdringen, seine Handlungen – das Äußere – zu erklären, aber sein wahres Innenleben konnte sie nicht fassen.
    Lea fühlte sich alleine gelassen mit Fragen, die für sie immer rätselhaft und unbeantwortet bleiben würden und sie quälten: Was machte Menschen wie Wenger zum Mörder?
    Sie hatte versucht, seine Motive zu ergründen, zu verstehen, wer er war, und doch konnte sie diese Verbrechen nicht erklären, konnte seine Motive nicht zweifelsfrei deuten.
    Vielleicht, überlegte die Profilerin, war es doch das Böse, diese unbekannte Macht, die immer wieder solches Unheil über die Menschen brachte. Und vielleicht blieb
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