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Die Lüge

Die Lüge

Titel: Die Lüge
Autoren: Petra Hammesfahr
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für das es keinen Namen gab. Enttäuschung wäre zu gelinde ausgedrückt.
    Nach nur zwei Tagen bekam sie ihre Bewerbungsunterlagen mit freundlichen Grüßen von Behringer und Partner zurück. Es hatte sie gefreut, sie kennen zu lernen, sie bedauerten, ihr mitteilen zu müssen, dass sie sich anderweitig entschieden hatten, und wünschten ihr viel Glück für die Zukunft. Sie verstand es nicht, wo Herr Reincke doch erklärt hatte, es sei praktisch beschlossene Sache. Den Rest des Tages verbrachte sie vor dem Fernseher. Sie hatte eigentlich einen Spaziergang machen wollen, befürchtete jedoch, über kurz oder lang in Tränen auszubrechen, das wollte sie nicht auf der Straße tun.
    Sonntags besuchte sie ihre Mutter. Die vierzig Kilometer zum Seniorenwohnheim legte sie mit Johannes Herzog zurück. Seine Großmutter war eine Nachbarin ihrer Mutter. Irgendwann hatte es sich ergeben, dass Johannes ihr eine Heimfahrt anbot. Seitdem kam er – wenn er nicht gerade ein Problem mit seinem Wagen hatte – pünktlich jeden zweiten Sonntag um vierzehn Uhr.
    Johannes war Mitte zwanzig und studierte sporadisch etwas Technisch-Wissenschaftliches. Die meiste Zeit arbeitete er als Stuntman für eine Fernsehserie, in der hauptsächlich wilde Verfolgungsjagden und Karambolagen gezeigt wurden. Dementsprechend fuhr er sein Auto, einen alten BMW.Häufig wurde ihr auf dem Beifahrersitz übel. Aber es kostete nichts, mit ihm zu fahren.
    Die Enttäuschung über Behringer und Partner bohrte unverändert in ihr. Dennoch gingen ihr in den Stunden mit ihrer Mutter die üblichen Märchen flüssig über die Lippen. Der Stress in der Firma, ein Theaterbesuch mit ihrer Freundin Jasmin Toppler. Und der nette Herr Heller aus dem zweiten Stock hätte sie für den kommenden Samstag zum Essen eingeladen. Dem widerlichen Heller hatte sie eigens für ihre Mutter einen lukrativen Beruf, beste Umgangsformen und ein angenehmes Äußeres angedichtet. Sie sei aber nicht sicher, ob sie mit ihm ausgehen solle, sagte sie. Innerlich habe sie das Scheitern ihrer Ehe noch nicht verarbeitet.
    Das entsprach den Tatsachen. Es gab Momente, in denen sie Dieter Lasko inbrünstig hasste. Er hatte Karriere gemacht, war als freier Journalist für diverse Zeitungen tätig und arbeitete auch noch erfolgreich als Sachbuchautor. Während sie drei Jahre nach der Scheidung nicht mehr ein noch aus wusste, schrieb er an einem Buch über die Hintergründe des Palästinenserkonflikts. Sein letztes, über den Einsatz der Blauhelme in Bosnien, war zehn Wochen lang in den Bestenlisten gewesen und musste ihm ein Vermögen eingebracht haben.
    Sie hatten keinen Kontakt. Trotzdem wusste sie genau, wie es ihrem Exmann ging. Manchmal sah sie ihn im Fernsehen, manchmal las sie in der Wochenendausgabe der Tageszeitung, die sie wegen des Stellenmarktes regelmäßig kaufte, ein Interview oder einen Bericht. Vielleicht hätte er ihr aus der Patsche geholfen, angeboten hatte er es bei der Scheidung: «Wenn du Hilfe brauchst.» Doch das ließ ihr Stolz nicht zu.
    Da ging sie lieber einmal im Monat zur Bank, füllte nervös die Überweisung aus und transferierte vierhundert Euro vom Konto ihrer Mutter auf ihr eigenes. Hundert davon nahm sie in bar mit. Dienstags machte sie einen langen Spaziergangund setzte ihre gesamte Hoffnung auf den nächsten Stellenmarkt. Und mittwochs fand sie das schmale, weiße Kuvert in ihrem Briefkasten.
    Ihr Name und ihre Adresse waren in Druckbuchstaben von Hand geschrieben. Ein Absender fehlte. Die Briefmarke war in der Stadt abgestempelt. Noch im Treppenhaus riss sie den Umschlag auf. Im Hinaufsteigen faltete sie ein bedrucktes Blatt auseinander und las:
     
    «Liebe Susanne Lasko,
    Sie haben nein gesagt, das möchte ich Ihrer Verblüffung und der verständlichen Eile zuschreiben. Akzeptieren kann ich es nicht. Wenn die Natur sich solch einen Scherz erlaubt, muss man die Chance bekommen, wenigstens einmal gemeinsam darüber zu lachen. Ich bin am Freitag um 15   Uhr im Café an der Oper (Terrasse) und würde mich sehr freuen, wenn Sie die Zeit fänden, auf einen Kaffee vorbeizuschauen. Wenn Sie nicht wissen wollen, wer ich bin, ich wüsste gerne, wer Sie sind und wie Sie leben. Nicht allzu gut, hatte ich den Eindruck. Vielleicht kann ich etwas tun, um das zu ändern.
    Mit herzlichem Gruß
    Nadia Trenkler»
     
    Wo Nadia Trenkler ihren Namen und ihre Anschrift erfahren hatte, war klar. Es gab nur eine Möglichkeit, Behringer und Partner. So wie sie ausgesehen hatte, betrieb
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