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Die Lüge

Die Lüge

Titel: Die Lüge
Autoren: Petra Hammesfahr
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Urgroßeltern, über die Susanne nur wusste, dass es ehrliche und rechtschaffene Leute gewesen waren. Mit Onkeln und Tanten konnte sie nicht dienen.
    Das Gespräch nahm einen Verlauf, der nicht geeignet war, ihre Erwartungen zu erfüllen. Nadia beherzigte Susannes nachdrückliche Erklärung, nicht wissen zu wollen, wer sie war. Sie erfuhr weder, mit wem oder wie lange Nadia verheiratet war, noch, wo sie lebte oder was sie beruflich tat.
    Es musste eine einträgliche Beschäftigung sein. Nadias Geld stach bei jeder Bewegung ins Auge. Der protzige Ring, ein Paar Brillantohrstecker, ein goldenes Feuerzeug und ein goldenes Zigarettenetui, das Nadia ihr hinhielt, nachdem sie ihr Tortenstück verzehrt hatte. Sie lehnte ab.
    «Du rauchst nicht», stellte Nadia fest, es schwang Neid mit. «Wie macht man das? Ich weiß nicht, wie oft ich schon versucht habe, es mir abzugewöhnen.»
    «Gar nicht erst anfangen», sagte sie.
    Drei Zigaretten rauchte Nadia zu ihrer zweiten Tasse Kaffee. Dann winkte sie der Serviererin, zahlte und gab ein großzügiges Trinkgeld. Sekundenlang wurde Susanne beim Anblick der prall gefüllten Börse geschüttelt von einem Chaos widersprüchlicher Empfindungen. Es war eine ekelhafte Mischung aus Gier, Neid und Scham.
    «Du hast hoffentlich noch Zeit?», erkundigte sich Nadia. «Ich dachte, wir fahren ein bisschen ins Grüne. Da können wir ungestört reden.» Sie nickte andeutungsweise zu zwei älteren Damen hinüber, die dem Anschein nach über sie beide tuschelten. Zeit hatte Susanne im Überfluss. Ins Grüne fahren klang auch nett. Und ungestört reden, also war noch Hoffnung.
    Das Auto, für das Nadia so lange nach einem Parkplatz hatte suchen müssen, erwies sich als äußerst wendiges Gefährt, das auch in kleine Lücken passte. Ein weißer Porsche. Susanne machte es sich auf dem Beifahrersitz so bequem wie möglich und musterte Nadias Gesicht mit verstohlenen Seitenblicken. Es war ein sonderbares Gefühl, als säße sie neben sich selbst. Auf der Caféterrasse hatte sie es nicht so empfunden. In der Enge des Wagens wurde es übermächtig und erdrückend.
    Am Armaturenbrett haftete ein winziger Bilderrahmen mit einem lachenden Männergesicht. Sympathischer Typ, Mitte bis Ende zwanzig, schätzte Susanne. Wehendes Blondhaar in irgendeinem Wind, gerade Nase, schmaler Mund. Mehr an Einzelheiten war auf dem kleinen Foto nicht zu erkennen.
    «Dein Mann?», fragte sie, hielt es für ein Jugendfoto.
    Und Nadia sagte: «Wer sonst? Das war vor zwei Monaten, inzwischen sind die Haare wieder kürzer. So eine Mähne leistet er sich nur im Urlaub. Magst du segeln?»
    Susanne zuckte mit den Achseln und schluckte heftig. Vor zwei Monaten, auf einem Segelboot! Quatsch! Eine Nadia Trenkler passte nicht auf ein Boot. Es war eine weiße Segelyacht gewesen. Nadia hatte an Deck in der Sonne gelegen, und der blonde Mann hatte ihr den Rücken eingeölt.
    Nach gut einer Stunde hielten sie auf einem kleinen Parkplatz, von dem ein Wanderweg in den Wald führte. Nadia nahm die Dokumentenmappe und ihre Handtasche von der Rückbank und beides mit auf den Spaziergang.
    Dann schlenderten sie durch grün gefilterte Schatten. Susanne streute nach und nach ihr gesamtes Leben auf die trockene Erde und passte sich dabei, ohne es selbst zu bemerken, Nadias Tonfall an. Nach der anfänglichen Einsilbigkeit ging es bald flüssig. Im Hinterkopf tickte noch die Hoffnung auf ein Arbeitsangebot. Doch davon abgesehen, tat es auch irgendwie gut, nach all den Lügen der letzten Monate einmal auszusprechen, wie es tatsächlich gewesen war.
     
    Sie hatte eine gute Startposition gehabt, liebevolle Eltern, gute Schulnoten, gute Beurteilungen während ihrer Ausbildung zur Bankkauffrau, auch während der ersten Jahre im Beruf. Ihr Vater war stolz auf sie und sah sie bereits als Leiterin einer Bankfiliale. Sie träumte hin und wieder von Hochzeit und einem Kind.
    An Verehrern hatte es ihr nicht gemangelt. Mit vierundzwanzig lernte sie Dieter Lasko kennen. Er arbeitete damals für den Stadtanzeiger und verdiente kaum die Butter aufs Brot. Wenn sie ausgingen, dann immer auf ihre Kosten. Drei Jahre später heirateten sie, lebten im Haus seiner Mutter. Und das war der Anfang vom Ende gewesen.
    Natürlich war es nicht allein Dieters Schuld. Ein Banküberfall, bei dem sich später herausgestellt hatte, dass er mit einer Spielzeugpistole durchgeführt worden war, veranlasste sie knapp ein Jahr nach der Hochzeit, ihren Beruf aufzugeben. Es wäre ja auch
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