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Die Lüge

Die Lüge

Titel: Die Lüge
Autoren: Petra Hammesfahr
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sie vielleicht eine eigene Firma im gleichen Gebäude, kannte Herrn Reincke, Frau Luici, vielleicht sogar Behringer persönlich, hatte nachgefragt und erfahren, dass ihre Doppelgängerin den Job nicht bekommen hatte. Und womöglich suchte sie selbst händeringend nach einer zuverlässigen Schreibkraft.
     
    Der Freitag begann mit vergeblichen Versuchen, die wahnsinnigen Hoffnungen zu dämpfen. Eine halbe Stunde lang betrachtete sie den dürftigen Inhalt ihres Kleiderschranks und entschied sich für einen Baumwollrock und ein T-Shirt . Sie fand, sie sähe sommerlich frisch und nicht allzu ärmlich aus.
    Um zwei ging sie los, bis unter die Haarwurzeln erfüllt von der verrückten Erwartung auf ein Wunder. Pünktlich um drei erreichte sie das Café an der Oper, suchte mit Blicken die Terrasse ab. Von Nadia Trenkler war nichts zu sehen. An den Tischen saßen überwiegend ältere Damen. Sie setzte sich an einen freien. Der herbeieilenden Serviererin erklärte sie, sie sei verabredet und möchte mit der Bestellung noch warten.
    Nadia Trenkler kam eine halbe Stunde zu spät, der Sonne zum Trotz bekleidet mit einem grauen Hosenanzug, die pralle Dokumentenmappe unter den linken Arm geklemmt, als käme sie aus einer Konferenz, die länger gedauert hatte als vorgesehen. Ein wenig abgehetzt wirkte sie, entschuldigte ihre Verspätung mit dem Verkehr in der Innenstadt und der langwierigen Suche nach einem Parkplatz. Sie setzte sich und lächelte. «Freut mich, dass Sie gewartet haben.»
    Die Bedienung kam. Nadia bestellte zwei Kännchen Kaffee und zweimal Obsttorte. «Entschuldigen Sie meine Eigenmächtigkeit», bat sie. «Aber was soll man sonst essen bei der Hitze?»
    Susanne nickte, dann saßen sie da.
    «Ja», meinte Nadia nach einer Weile gedehnt, «womit fangen wir an? Wie Sie heißen, weiß ich inzwischen. Wie ich heiße, hatte ich Ihnen gesagt und auch geschrieben. Und mehr wollen Sie von mir ja nicht wissen. Aber duzen könnten wir uns trotzdem, oder?»
    Susanne nickte noch einmal. Kaffee und Torte wurden serviert. Die Torte war dick belegt mit saftigen Pfirsichhälften, Kirschen, Bananenstücken und grünen Trauben. Sie stach mitder Gabel das erste Stück ab, bemühte sich, nicht zu schlingen, und wartete auf das, was Nadia für sie tun konnte. Doch vorerst machte die Frau mit ihrem Gesicht keine Anstalten, ihr Angebot zur Sprache zu bringen. Direkt danach fragen mochte sie nicht, ein unverfängliches Thema fiel ihr auch nicht ein.
    Als Nadia den zweiten Bissen Torte in den Mund schob, bemerkte Susanne den Ehering. Er war schmal und verschwand fast unter einem zweiten Ring, auf dem ein protziger blauer Stein das Sonnenlicht zersplitterte. «Sie sind – du bist verheiratet?», erkundigte sie sich zögernd.
    Nadia kaute gerade und nickte nur.
    «Ich bin geschieden», erklärte Susanne. «Seit drei Jahren. Er hat gleich wieder geheiratet und eine Tochter bekommen.»
    Das hatte sie nicht erzählen wollen. Nur die Scheidung erwähnen, um ihre familiäre Situation offen zu legen, aber nicht diesen Stachel im Fleisch. Seine Tochter! Dieter hatte die Geburt des Kindes in halbseitigen Anzeigen bekannt gegeben – mit diesem schwülstigen Text: «In einer Zeit der Hoffnungslosigkeit freuen wir uns, einen Lichtstrahl in die Welt gebracht zu haben: das Lächeln eines Kindes.» Das hatte geklungen, als habe sie ihn um den Messias betrogen. Dabei hätte sie so gerne ein Kind bekommen, als sie noch verheiratet war.
    «Wie lange warst du verheiratet?», fragte Nadia. Ihr kam das Du flüssig und natürlich über die Lippen.
    «Sieben Jahre.»
    «Das ist zu lange, um sich mit einem Lächeln für den Tritt in den Hintern zu bedanken», stellte Nadia fest. «Aber manche Männer sind versessen darauf, Vater zu werden. Wenn du nicht willens oder in der Lage bist, wirst du abserviert.»
    Susanne ließ Nadia im Glauben, eine taube Nuss zu sein. Vielleicht war sie inzwischen ja eine. Ihr Zyklus war seit derScheidung sehr unregelmäßig. Oft rührte sich monatelang nichts. Aber ohne Mann lohnte es nicht, darüber nachzudenken, und ohne Krankenversicherung ließ sich auch nichts dagegen unternehmen.
    Nadia erwähnte noch kurz, dass sie mit ihrem Mann mehr Glück hatte. Ihm lag nichts an Nachwuchs. Damit hakte sie das Thema Ehe ab und erkundigte sich nach Susannes Eltern. Um auszuschließen, wie sie scherzhaft betonte, dass sie – und sei es nur um siebenundzwanzig Ecken – doch miteinander verwandt wären. Sie gruben sich durch bis zu den
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