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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle
Autoren: John le Carré
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hinter ihnen her, versuchte, sie ins Ziel zu treiben. Wie ein gewöhnlicher Eindringling schoss er durch die Tür, doch statt anzuhalten, stürzte er vorwärts und feuerte. Und drückte mit weit ausgestrecktem Arm ab, als gälte es, die Entfernung noch mehr zu verringern. Sie sah Khalils Gesicht bersten, sah, wie er sich um sich selbst drehte, die Arme zur Wand ausstreckte, als wollte er sie um Hilfe anflehen. Infolgedessen trafen ihn die Kugeln im Rücken und ruinierten sein weißes Hemd. Seine Hände - eine aus Leder, die andere echt -drückten sich flach an die Wand, und sein zerfetzter Körper rutschte herunter, bis er sich duckte wie ein Rugby-Spieler und verzweifelt versuchte, sie zu durchbrechen. Doch da war Joseph bereits nahe genug, um die Füße unter ihm wegzustoßen und seine letzte Reise zu Boden zu beschleunigen. Hinter Joseph kam Litvak, den sie als Mike kannte und von dem sie, wie ihr in diesem Moment aufging, immer angenommen hatte, dass er ein ungesundes Wesen habe. Als Joseph zurücktrat, kniete Mike sich hin und schoss Khalil eine letzte wohlgezielte Kugel in den Hinterkopf, was völlig unnötig gewesen sein musste. Nach Mike kam etwa die Hälfte aller Scharfrichter der Welt in schwarzer Froschmann-Ausrüstung, und ihnen folgten Marty und das deutsche Wiesel und zweitausend Bahrenträger und Krankenwagenfahrer und Ärzte und Frauen ohne jedes Lächeln, die sie hielten, sie von Erbrochenem befreiten, sie auf den Korridor hinausführten und in Gottes frische Luft, obwohl der klebrige warme Blutgeruch ihr Nase und Rachen verstopfte. Ein Krankenwagen fuhr rückwärts auf den Eingang zu. Flaschen mit Blut befanden sich darin, und die Wolldecken waren gleichfalls rot, so dass sie sich zuerst weigerte einzusteigen. Sie musste sich sogar sehr gewehrt und regelrecht um sich geschlagen haben, denn eine der Frauen, die sie festhielten, ließ unversehens los und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Sie war plötzlich taub, so dass sie ihr eigenes Schreien nur undeutlich hören konnte, doch hauptsächlich ging es ihr darum, sich das Kleid vom Leib zu reißen, einerseits, weil sie eine Hure war, andererseits, weil so viel von Khalils Blut daran klebte. Doch das Kleid war ihr noch weniger vertraut als gestern abend, und so war ihr unerfindlich, ob es Knöpfe oder einen Reißverschluss hatte; so beschloss sie, sich überhaupt nicht darum zu kümmern. Dann tauchten links und rechts von ihr Rachel und Rose auf, und jede packte einen Arm, genauso, wie sie es in der Villa in Athen gemacht hatten, als sie zum ersten Mal für ihr Engagement im Theater des Wirklichen vorgesprochen hatte. Aus Erfahrung wußte sie, dass jeder weitere Widerstand nutzlos war. Sie führten sie die Stufen zum Krankenwagen hinauf und setzten sich mit ihr, jede auf einer Seite, auf eins der Betten. Sie blickte hinunter und sah all die dummen Gesichter, die sie anstarrten - die harten kleinen Jungen mit den finsteren Heldengesichtern, Marty und Mike, Dimitri und Raoul und ein paar andere Freunde, von denen ihr einige noch nicht vorgestellt worden waren. Dann teilte sich die Menge, und Joseph erschien, hatte rücksichtsvoll die Pistole abgelegt, mit der er Khalil erschossen hatte, unglücklicherweise jedoch immer noch viel Blut an seinen Jeans und Laufschuhen, wie sie bemerkte. Er trat an die Treppe heran, sah zu ihr hinauf, und zuerst war es so, als ob sie in ihr eigenes Gesicht starrte, denn sie erkannte in ihm genau dieselben Dinge, die sie an sich so hasste. So kam es zu einem Rollentausch, bei dem sie seine Rolle als Killer und Zuhälter übernahm und er vermutlich die ihre als Lockvogel, Hure und Verräterin.
    Bis plötzlich, als sie ihn weiter gebannt anstarrte, ein verbliebener Funke von Empörung ihr jene Identität zurückgab, die er ihr gestohlen hatte. Sie stand auf, und weder Rose noch Rachel waren schnell genug, sie daran zu hindern; gewaltig holte sie Atem und schleuderte ihm ein » Geh !« entgegen -zumindest für sie hörte es sich so an. Vielleicht war es auch ein » Nein !« Es war wirklich nicht wichtig.

Kapitel 27

    Die Welt erfuhr von den direkten oder weniger direkten Folgen der Operation mehr, als ihr klar war; ganz gewiss jedenfalls mehr als Charlie. Die Welt erfuhr zum Beispiel - oder hätte es erfahren können, wenn sie sich die kleineren Nachrichten in den Auslandsseiten der angelsächsischen Presse genauer angesehen hätte -, dass ein mutmaßlicher palästinensischer Terrorist bei einem Schusswechsel mit einer
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