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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle
Autoren: John le Carré
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ihr Studium an der Universität wieder aufgenommen hatte, besuchte sie und war offen und liebevoll und entspannt, ganz anders jedenfalls als die härtere Rachel, die Charlie in Athen kennengelernt hatte. Auch Dimitri setze seine Ausbildung fort, erzählte sie; Raoul denke daran, Medizin zu studieren und vielleicht Militärarzt zu werden; es könnte aber auch sein, dass er sich doch endgültig für die Archäologie entscheide. Charlie lächelte höflich zu diesen Familienneuigkeiten - Rachel sagte zu Kurtz, es sei, als ob sie mit ihrer Großmutter spräche. Auf lange Sicht machten jedoch weder ihre nordenglische Herkunft noch ihre lustigen Eigenheiten, wie sie für die englische Mittelschicht typisch waren, den erwünschten Eindruck auf Charlie, und nach einiger Zeit bat sie, immer noch höflich, man möge sie doch wieder in Ruhe lassen. Inzwischen waren in Kurtz’ Amt zu der großen Summe technischen und menschlichen Wissens, das den Grundstoff seiner vielen Unternehmungen bildete, eine Reihe wertvoller Erkenntnisse hinzugekommen. Trotz offensichtlich unausrottbarer Vorurteile gegenüber Nichtjuden waren sie, wie sich erwiesen hatte, nicht nur zu gebrauchen, sondern manchmal durch nichts zu ersetzen. So hätte sich zum Beispiel eine Jüdin wahrscheinlich nie so gut in mittlerer Position halten können. Was die Techniker wiederum interessierte, war die Sache mit den Batterien im Radiowecker; man lernt eben nie aus. Entsprechend wurde zu Ausbildungszwecken mit großem Erfolg eine gereinigte Fallgeschichte zusammengestellt und verwendet. In einer vollkommenen Welt, so wurde argumentiert, hätte der mit dem Fall befasste Beamte beim Austausch der Geräte bemerken müssen, dass die Batterien im Gerät der Agentin fehlten. Immerhin hatte er zwei und zwei zusammengezählt, als das Sendesignal plötzlich aufhörte, und war sofort eingedrungen. Beckers Name tauchte selbstverständlich nirgendwo in diesem Zusammenhang auf. Ganz abgesehen von der Frage der Sicherheit, hatte Kurtz in letzter Zeit nichts Gutes von ihm gehört und war nicht geneigt, ihn verherrlichen zu lassen.
    Im späten Frühjahr endlich, sobald das Litani-Becken für Panzer trocken genug war, erfüllten sich Kurtz’ schlimmste Befürchtungen und Gavrons düsterste Drohungen: Es kam zu dem lang erwarteten israelischen Vorstoß in den Libanon hinein, und das beendete die augenblickliche Phase der Feindseligkeiten oder - je nachdem, wo man stand - läutete die nächste ein. Die Flüchtlingslager, in denen Charlie zu Gast gewesen war, wurden ›saniert‹ , was mehr oder weniger darauf hinauslief, dass Bulldozer hineinfuhren, um die Leichen unter die Erde zu bringen und zu vollenden, was Panzer und Artilleriebeschießungen begonnen hatten; ein bedauernswerter Flüchtlingsstrom nach Norden setzte ein und ließ Hunderte, zuletzt sogar Tausende von Toten zurück. Sondereinheiten vernichteten völlig die Geheimunterkünfte in Beirut, in denen Charlie übernachtet hatte; vom Haus in Sidon blieben nur die Hühner und der Mandarinenhain übrig. Das Haus wurde von einem Kommando von Sayaret zerstört, die auch den beiden Jungen Kareem und Yasir den Garaus machten. Sie kamen bei Nacht von See her, genauso wie Yasir, der große Geheimdienstmann, es immer vorausgesagt hatte, und verwendeten eine besondere Art von amerikanischer Sprengkugel, die noch auf der Geheimliste stand und bloß den Körper zu berühren braucht, um zu töten. Von alldem - von der wirksamen Zerstörung ihrer kurzen Liebe zu Palästina - teilte man Charlie klugerweise nichts mit. Es könne sie aus den Angeln heben, sagte der Psychiater; bei ihrer Phantasie und Selbstversunkenheit könne es durchaus sein, dass sie sich für den gesamten Einmarsch verantwortlich machte. Man solle ihr besser nichts davon sagen; sollte sie später von selbst darauf kommen. Was Kurtz betrifft, so bekam man einen ganzen Monat lang kaum etwas von ihm zu sehen, oder wenn er gesehen wurde, dann erkannte ihn kaum jemand. Sein Körper schien zur halben Größe zusammengeschrumpft zu sein, seine slawischen Augen hatten allen Glanz verloren, er sah endlich so alt aus, wie er wirklich war, wie alt das auch immer sein mochte. Dann kehrte er eines Tages wie jemand, der eine lange und zehrende Krankheit hinter sich hatte, an seinen Arbeitsplatz zurück und hatte innerhalb von Stunden, wie’s schien, seine merkwürdige Dauerfehde mit Misha Gavron wieder aufgenommen.
    Zuerst schwamm Gadi Becker in Berlin in einem Vakuum, das dem
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