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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle
Autoren: John le Carré
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verstümmelt hatte. Nur bei der Stockholmer Bombe hatte es eine Warnung gegeben, und da stellte sich heraus, dass es sich um eine ganz andere Gruppe handelte, die mit der Serie überhaupt nichts zu tun hatte.
    Um acht Uhr fünfundzwanzig war die Drosselstraße in Bad Godesberg eine von Diplomaten bewohnte, Baumbestandene Nebenstraße gewesen wie viele andere, von der politischen Bonner Hektik so weit weg, wie man es erwarten kann, wenn man sich nicht weiter als fünfzehn Autominuten entfernt. Es war eine neue, jedoch keineswegs kahle Straße mit üppigen, verschwiegenen Gärten, Dienstbotenzimmern über den Garagen und schmiedeeisernen Sicherheitsgittern vor den Butzenglas-Fenstern. Das Wetter im Rheinland hat den größten Teil des Jahres etwas von der schweißtreibenden Wärme des Dschungels; die Vegetation - wie die Zahl der Botschaftsangehörigen - wächst dort fast so schnell, wie die Deutschen ihre Straßen bauen, und noch etwas rascher, als sie ihre Karten herstellen. Aus diesem Grunde waren die Vorderseiten einiger Häuser bereits halb von dicht gepflanzten Koniferen verdunkelt, die, wenn sie jemals die ihnen zustehende Größe erreichen, vermutlich das ganze Viertel in ein Grimmsches Märchendunkel tauchen werden. Diese Bäume nun erwiesen sich als erstaunlich wirksamer Schutz gegen die Druckwelle, und schon wenige Tage nach dem Anschlag verkaufte ein Gartencenter sie als Spezialität. Eine ganze Reihe von Häusern hat ein ausgesprochen nationalistisches Aussehen. Die gleich um die Ecke der Drosselstraße liegende Residenz des norwegischen Botschafters zum Beispiel ist ein schmuckloses rotes Backsteinbauernhaus, das geradewegs aus dem Börsenmakler-Umland Oslos hierher verpflanzt zu sein scheint. Das ägyptische Konsulat weiter oben auf der anderen Seite strahlt das verlorene Air einer Villa aus Alexandria aus, die einst bessere Zeiten gesehen hat. Trauervolle arabische Musik dringt nach draußen, und vor ihren Fenstern sind für alle Ewigkeit gegen das Anbranden der nordafrikanischen Hitze die Rolläden heruntergelassen. Es war Mitte Mai, der Tag hatte wunderschön mit sich gemeinsam im leichten Wind wiegenden Blüten und frischem Laub begonnen. Die Magnolienblüte war gerade vorüber, und die traurigen weißen Blütenblätter, die zum größten Teil bereits abgefallen waren, hatten hinterher die Trümmer geziert. Bei so viel Grün drang vom Rauschen des Pendlerverkehrs auf der Autostraße kaum etwas herüber. Der auffälligste Laut bis zur Explosion war noch das Lärmen der Vögel, zu denen ein paar dicke Tauben gehörten; sie hatten eine Vorliebe für jene blassblaue Glyzine, die der ganze Stolz des australischen Militär-Attaches war. Einen Kilometer weiter im Süden machten von hier aus unsichtbare Lastkähne auf dem Rhein einen behäbigen, tuckernden Laut, den die Bewohner aber nur wahrnehmen, wenn er einmal aussetzt. Kurz, es war ein Morgen, ganz dazu angetan, einem deutlich zu machen, dass Bad Godesberg trotz aller Katastrophen, über die man in den ernsten und überängstlichen westdeutschen Zeitungen las - Wirtschaftsflaute, Geldentwertung, Pleiten und Arbeitslosigkeit, all die üblichen und anscheinend unheilbaren Leiden einer kräftig prosperierenden kapitalistischen Wirtschaft -, ein solider und anständiger Ort war, wo man durchaus leben konnte, und Bonn nicht halb so schlimm, wie es immer hingestellt wurde.
    Je nach Nationalität und Rang, waren einige Ehemänner bereits ins Büro gefahren. Doch Diplomaten sind alles Mögliche - nur dem Klischee des Diplomaten entsprechen sie nicht. Ein schwermütiger skandinavischer Botschaftsrat zum Beispiel lag noch im Bett und litt unter einem durch eheliche Überbeanspruchung hervorgerufenen Katzenjammer. Ein südamerikanischer Geschäftsträger, angetan mit Haarnetz und seidenem chinesischem Morgenmantel, Ausbeute einer Tour durch Peking, lehnte aus dem Fenster und gab seinem philippinischen Fahrer Anweisungen für den Einkauf. Der italienische Botschaftsrat rasierte sich, war aber dabei nackt. Er liebte es, sich nach dem Bad, aber vor der täglichen Morgengymnastik zu rasieren. Seine vollständig angekleidete Frau war bereits unten und machte ihrer verstockten Tochter Vorhaltungen, am Abend zuvor zu spät nach Hause gekommen zu sein - ein Wortwechsel, zu dem es fast an jedem Morgen der Woche kam. Ein Gesandter von der Elfenbeinküste telefonierte auf der Auslandsleitung und setzte seine Vorgesetzten über seine jüngsten Versuche in Kenntnis, dem
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