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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle
Autoren: John le Carré
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ihn die Deutschen heutzutage häufig hervorbringen, ein Mann mit gepfefferten liberalen Überzeugungen, die der sozialliberalen Koalition nicht immer willkommen waren und die er zu ihrem Leidwesen auch noch liebend gern im Fernsehen von sich gab. Sein Vater, davon ging man allgemein aus, war in der Nazizeit irgendwie im Widerstand gegen Hitler gewesen, und dieses Mäntelchen war in diesen veränderten Zeiten etwas, in das der unstete Sohn nicht so recht hineinpasste. Ganz gewiss gab es in Bonns Glaspalästen jedenfalls Leute, die ihm die für seine Aufgabe nötige Solidität absprachen; dass er sich vor kurzem hatte scheiden lassen - wobei beunruhigenderweise zutage gekommen war, dass er eine um zwanzig Jahre jüngere Geliebte hatte -, war nicht gerade dazu angetan gewesen, ihre Ansichten über ihn zu heben. Wäre irgend jemand sonst angekommen, Alexis hätte sich nicht die Mühe gemacht, zum Flugplatz zu fahren - in der Presse sollte nicht über die Sache berichtet werden -, aber die Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik hatten gerade einen Tiefstand erreicht, und so beugte er sich dem Druck des Ministeriums und fuhr hin. Ganz gegen seine Wünsche koppelte man ihn in letzter Minute mit einem etwas schwerfälligen schlesischen Polizeibeamten aus Hamburg zusammen, einem erklärten Konservativen und Zauderer, der sich auf dem Gebiet der ›Studenten-Überwachung‹ in den siebziger Jahren einen Namen gemacht hatte und als großer Fachmann für Unruhestifter und Bombenleger galt. Ein weiterer Vorwand war, dass er den Israelis sicher sehr genehm wäre; doch wie jedermann sonst wusste auch Alexis, dass er hauptsächlich als Gegengewicht zu seiner Person fungierte. Aber wichtiger war bei den im Augenblick angespannten Beziehungen vielleicht, dass sowohl Alexis als auch der Schlesier ›unbelastet‹ waren - keiner von beiden war alt genug, um auch nur im entferntesten für das verantwortlich zu sein, was die Deutschen bekümmert ihre unbewältigte Vergangenheit nennen. Was immer den Juden heute angetan wurde, Alexis und sein unerwünschter schlesischer Kollege hatten es gestern nicht getan; und Alexis senior auch nicht, falls es noch weiterer Bestätigung bedurfte. Die Presse hob all dies auf Alexis’ behutsame Anweisung hin deutlich hervor. Nur in einem Leitartikel hieß es, solange die Israelis wahllos weiterhin Palästinenserdörfer und -lager bombardierten - wobei nicht nur ein Kind getötet werde, sondern jedes Mal Dutzende -, müssten sie eben auf diese Art barbarischer Vergeltung gefasst sein. Gleich am nächsten Tag erschien eine glühende, wenn auch etwas verworrene Erwiderung des Pressereferenten der israelischen Botschaft. Seit 1961, so schrieb er, sei der Staat Israel ständig das Angriffsziel des arabischen Terrorismus. Die Israelis würden nirgends auf der Welt auch nicht einen einzigen Palästinenser umbringen, wenn man sie nur in Ruhe ließe. Gabriel habe nur aus einem einzigen Grund den Tod gefunden: weil er Jude war. Die Deutschen täten gut daran, sich zu erinnern, dass Gabriel damit nicht allein stehe. Falls sie den Holocaust vergessen hätten - vielleicht erinnerten sie sich an die Olympischen Spiele vor zehn Jahren in München?
    Der Redakteur beendete die Korrespondenz und nahm sich einen Tag frei.
    Die anonyme Maschine der israelischen Luftwaffe aus Tel Aviv landete am äußersten Ende des Flugfeldes, auf Zoll- und Passformalitäten wurde verzichtet, und die Zusammenarbeit, die Tag und Nacht durchging, begann sofort. Alexis hatte strikte Anweisungen erhalten, den Israelis nichts abzuschlagen, doch dieser Befehl war überflüssig: Er war Philosemit, und das war allgemein bekannt. Er hatte Tel Aviv den obligatorischen ›Liaison‹ -Besuch abgestattet und war mit gebeugtem Haupt in der Holocaust-Gedenkstätte photographiert worden. Und was den schwerfälligen Schlesier betrifft - nun, wie er nicht müde wurde, jedem zu versichern, der ihm zuhören wollte, seien sie schließlich alle hinter demselben Feind her, oder etwa nicht? Womit er offensichtlich die Roten meinte. - Wenn auch die Ergebnisse einer ganzen Reihe von Ermittlungen noch ausstanden, war es der gemeinsamen Untersuchungskommission am vierten Tag gelungen, ein überzeugendes vorläufiges Bild dessen zusammenzusetzen, war sich ereignet hatte.
    Zunächst einmal konnte man übereinstimmend davon ausgehen, dass für das Haus, welches das Ziel des Anschlags gewesen war, keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden
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