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Mirad 02 - Der König im König

Titel: Mirad 02 - Der König im König
Autoren: Ralf Isau
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    PROLOG
     
    Die Chroniken von Mirad, 22. Buch, 1. Kapitel
     
     
    Zwei Könige im Körper von einem waren für etliche in Soodland einer zu viel. In den Adern von Ergil und Twikus floss das Blut zweier Völker: Menschen und Sirilim. Nur wenige Untertanen maßen diesem hoffnungsvollen Umstand indes die ihm gebührende Bedeutung bei, da sie das Vordergründige sehr viel mehr beschäftigte: Die zwei waren Sirilimzwillinge – im Geiste völlig getrennt, aber in einem Leib vereint. Konnte dabei etwas Gutes herauskommen?
    Sogar die Chronistin, das will sie an dieser Stelle reumütig eingestehen, hat die daraus erwachsenden Schwierigkeiten lange unterschätzt. Ihre eigene Geschichte war wohl zu eng mit jener der Brüder verwoben, um sich jederzeit einen unverstellten Blick auf die Wirklichkeit zu bewahren. Schließlich war sie die Amme der zwei gewesen. Nach dem Blutbad auf der Sooderburg, das in der Ermordung König Torlunds durch seinen älteren Bruder Wikander gipfelte, hatte sie die Knaben gemeinsam mit dem Waffenmeister Falgon aus dem Palast geschmuggelt. Wie schon berichtet wurde, hielt Falgon die Kinder zehn Jahre lang im ältesten Wald von Mirad versteckt. Dort lernten sie von ihm den Umgang mit Jagdwaffen und das Überleben in der freien Natur, aber zuletzt war es wieder die Verfasserin dieses Berichts gewesen, die sie in den Sirilimkünsten ausgebildet und für die Begegnung mit ihrem Oheim Wikander vorbereitet hat. Sie begleitete die Zwillinge zurück nach Soodland, zeigte ihnen den geheimen Weg in die Sooderburg, hat dabei fast ihr eigenes Leben eingebüßt, es aber dank Ergil und Twikus dennoch behalten. Als die beiden den Thron von Soodland bestiegen, überreichte sie ihnen das Zepter, und in den folgenden Wochen und Monaten der Prüfung stand sie ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Spätere Generationen mögen der Chronistin daher die Trübung ihres Blickes nachsehen, die sie für die Sorgen der Menschen und des Reiches vorübergehend blind gemacht hatte.
    Sechs Monate nachdem die Brüder im Jahre Mirads 6000 gekrönt worden waren, kränkelte nämlich das zarte Pflänzchen ihrer Herrschaft. Alles hatte so viel versprechend begonnen, in jener Mittsommernacht. Sie war lau und das Volk froh gewesen. In allerlei Festlichkeiten entledigte es sich der dunklen Erinnerungen an das bedrückende Joch des Großkönigs, als gelte es, im Frühling den dumpfen Geruch der winterlichen Holzfeuer aus den Häusern zu vertreiben. Der bevorstehende Anbruch des siebten Jahrtausends schien wie geschaffen für die Erfüllung jener alten Prophezeiungen, die ein neues Zeitalter des Friedens versprachen. Jetzt dagegen, kurz nach dem Jahreswechsel, herrschte in vielerlei Hinsicht bittere Kälte.
    Seit Menschengedenken hatte es keinen so frühen Wintereinbruch in Soodland gegeben. Das Königreich am Schollenmeer lag nicht allein im klammen Griff des Frostes, auch die Zwietracht unter den Ländern des Sechserbundes lähmte die Entfaltung des erhofften Friedens. Als der Thronräuber und sein Unheil bringendes schwarzes Schwert Schmerz auf den Klippen unterhalb des Knochenturms zerborsten waren, hatte so gut wie jeder das finstere Zeitalter für beendet erklärt. Doch kurz darauf brach wie eine schlecht verheilte Wunde erneut der Zwiespalt auf, der einst die Anhänger und Feinde Wikanders in zwei Lager geteilt hatte. Die Königreiche Kimor, Yogobo und natürlich Soodland standen auf der Seite der neuen Herrscher. Pandorien und Ostrich dagegen versagten ihnen die Unterstützung und strebten selbst nach einer führenden Rolle in dem Staatenbund. Das Stromland fuhr einen Schlingerkurs. Dessen König Hilko drückte sich mit allerlei Ausflüchten und diplomatischen Winkelzügen um eine klare Position, wohl um sich die eigenen Chancen in jedwede Richtung offen zu halten. Währenddessen intrigierte sein Vetter Hjalgord hinter den Kulissen munter gegen Ergil und Twikus. Nur Quondit Jimmar Herzog von Bolk hatte Torlunds Söhnen bereits vor Wikanders schmählichem Ende das Vertrauen ausgesprochen.
    Die über Jahre von ihrem Oheim ausgebrachte Saat begann indes erneut zu keimen, als die Natur dem jungen Herrschergespann scheinbar ihren Segen versagte. Die Mutter der beiden war eine mit der »Alten Gabe« gesegnete Sirilimprinzessin gewesen. Wikander hatte daraus einen Lügenteppich gewebt, der sie am Ende als Hexe darstellte. Aberglaube und Unkraut sind sich sehr ähnlich: Wenn sie einmal Wurzeln geschlagen haben, sind sie kaum mehr auszumerzen.
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