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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle
Autoren: John le Carré
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westdeutschen Sondereinsatztruppe ums Leben gekommen war und seine weibliche Geisel, deren Name nicht genannt wurde, im Schockzustand, doch sonst unverletzt, in ein Krankenhaus gebracht worden war. In den deutschen Zeitungen erschienen unheimliche Versionen der Geschichte Wildwest im Schwarzwald -, aber die Berichte waren so bemerkenswert sicher und doch widersprüchlich, dass es schwierig war, ihnen überhaupt etwas zu entnehmen. Eine Verbindung mit dem misslungenen Freiburger Bombenattentat auf Professor Minkel - der ursprünglich als tot gemeldet worden, dann jedoch wunderbarerweise dennoch mit dem Leben davongekommen war - wurde von dem weltgewandten Dr. Alexis so geistreich abgestritten, dass jeder sie als gegeben annahm. Es sei ja auch durchaus in der Ordnung, schrieben die Klügeren unter den Leitartiklern, dass man uns nicht zuviel sagt.
    Eine Folge kleinerer Zwischenfälle in der westlichen Welt rief hier und da Spekulationen über das Wirken der einen oder anderen arabischen Terroristenorganisation hervor, doch da es heutzutage so viele rivalisierende Gruppierungen gab, war es reiner Zufall, auf wen man mit dem Finger zeigte. Dass zum Beispiel Dr. Anton Mesterbein, der humanitäre Schweizer Anwalt, der sich stets für die Rechte von Minderheiten eingesetzt hatte und Sohn eines bedeutenden Finanziers war, am hellichten Tag sinnlos abgeknallt wurde, lastete man rundheraus einer extremen Falangistenorganisation an, die vor kurzem jenen Europäern »den Krieg erklärt« hatte, die offen Sympathie für eine »Besetzung« des Libanon durch die Palästinenser bekundeten. Die ungeheuerliche Tat geschah, als das Opfer - ungeschützt wie immer - gerade seine Villa verließ, um ins Büro zu fahren, und die Welt war zumindest den ersten Teil des Vormittags über tief erschüttert. Als der Herausgeber einer Züricher Zeitung einen mit »Freier Libanon« unterzeichneten Bekennerbrief erhielt und als authentisch erklärte, wurde ein jüngerer libanesischer Diplomat ersucht, das Land zu verlassen, was er einsichtigerweise auch tat.
    Dass ein Diplomat der Nicht-Anerkennungs-Front vor der vor kurzem fertig gestellten Moschee in St. John’s Wood in seinem Auto in die Luft flog, war kaum irgendwo eine Meldung wert; immerhin handelte es sich um das vierte Bombenattentat dieser Art innerhalb von vier Monaten. Die blutrünstige Erdolchung des italienischen Musikers und Journalisten Alberto Rossino und seiner deutschen Begleiterin, deren unbekleidete und kaum identifizierbare Leichen erst Woc hen später an einem See in Tirol gefunden wurden, entbehrte laut der österreichischen Behörden trotz der Tatsache, dass beide Opfer Verbindungen zu Radikalenkreisen hatten, jeder politischen Grundlage. Nach den vorliegenden Beweisen zogen sie es vor, den Fall als einen Mord aus Leidenschaft zu behandeln. Die Dame, eine gewisse Astrid Berger, war für ihre ausgefallenen Neigungen wohlbekannt, und es wurde für möglich, wenn auch für grotesk gehalten, dass überhaupt kein Dritter an der Tat beteiligt war. Einer Folge von anderen, weniger interessanten Todesfällen, wurde praktisch überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt; genausowenig wie der Bombardierung eines alten, an der syrischen Grenze gelegenen Wüstenforts durch die Israelis, das nach Jerusalemer Quellen als Ausbildungslager für ausländische Terroristen diente. Was die Vierzentnerbombe betrifft, die auf einem Berg vor den Toren Beiruts explodierte und eine luxuriöse Sommervilla zerstörte und ihre Bewohner - darunter Tayeh und Fatmeh - tötete, so war diese Tat genausowenig zu durchschauen wie jeder andere Terrorakt in dieser tragischen Region. Doch Charlie in ihrer Feste am Meer erfuhr nichts von alledem; oder genauer gesagt, sie erfuhr ganz allgemein davon und war dieser Dinge entweder zu überdrüssig oder hatte zuviel Angst, um die Einzelheiten aufnehmen zu können. Zuerst wollte sie nichts weiter als schwimmen und langsame, ziellose Spaziergänge bis ans Ende des Strands und wieder zurück machen, wobei sie den Bademantel unterm Kinn festhielt, während ihre Leibwächter ihr in respektvoller Entfernung folgten. Im Meer setzte sie sich mit Vorliebe ins seichte Uferwasser, wo es keine Wellen mehr gab und sie Bewegungen machte, als wolle sie sich waschen - zuerst das Gesicht, doch dann auch Arme und Hände. Die anderen Mädchen waren angewiesen worden, nackt zu baden; doch als Charlie sich weigerte, sich diesem befreienden Beispiel anzuschließen, wies der Psychiater sie
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