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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle
Autoren: John le Carré
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an, sich wieder anzuziehen und abzuwarten. Kurtz besuchte sie ein-, manchmal sogar zweimal die Woche. Er zeigte sich ihr gegenüber außerordentlich verständnisvoll, geduldig und treu, selbst wenn sie ihn anschrie. Alles, was er ihr zu sagen hatte, war praktischer Natur und nur zu ihrem Vorteil. Man habe einen Paten für sie erfunden, sagte er: einen alten Freund ihres Vaters, der reich geworden und vor kurzem in der Schweiz gestorben sei und ihr eine beträchtliche Summe Geldes hinterlassen habe, das, da es aus nichtbritischem Besitz komme, im Vereinigten Königreich von jeder Kapital-Transfer-Steuer befreit sei. Mit den britischen Behörden war gesprochen worden; sie hatten akzeptiert - aus Gründen, mit denen Charlie nichts zu tun hatte -, dass niemandem damit gedient sei, wenn man sich eingehender mit Charlies Beziehung zu gewissen europäischen oder palästinensischen Extremisten beschäftige, sagte er. Kurtz konnte sie auch davon überzeugen, dass Quilley ihr wieder wohl gesonnen sei; die Polizei, so sagte er, habe es sich nicht nehmen lassen, ihn eigens aufzusuchen und ihm zu erklären, dass sie bei dem Verdacht Charlie gegenüber einem Irrtum aufgesessen seien.
    Kurtz besprach auch mit Charlie Möglichkeiten, wie ihr unvermitteltes Verschwinden aus London zu erklären sei, und Charlie stimmte passiv einer Mischung von Motiven zu, bei denen es sich um Angst vor Schikanen der Polizei, einen leichten Nervenzusammenbruch und einen geheimnisvollen Liebhaber handelte, den sie auf Mykonos aufgegabelt hatte, einen verheirateten Mann, der zuerst nach ihrer Pfeife getanzt, sie dann jedoch fallengelassen hatte. Erst als er anfing, sie in dieser Beziehung zu instruieren und in Nebensächlichkeiten auf die Probe zu stellen, wurde sie blass und fing an zu zittern. Ähnliches geschah, als Kurtz ihr vielleicht ein wenig unüberlegt eröffnete, man habe »an höchster Stelle« entschieden, sie könne jederzeit für den Rest ihres Lebens die israelische Staatsangehörigkeit annehmen.
    »Gebt die doch Fatmeh«, fuhr sie Kurtz an, der inzwischen eine Reihe von neuen Fällen zu bearbeiten hatte und deshalb in den Unterlagen nachsehen musste, ehe ihm wieder einfiel, wer Fatmeh war - oder gewesen war. Was ihre Karriere betreffe, sagte Kurtz, so erwarteten sie ein paar aufregende Dinge, sobald sie sich imstande fühlte, sich wieder damit zu befassen. Ein paar Produzenten in Hollywood hätten sich während ihrer Abwesenheit ernstlich für Charlie interessiert; sie warteten nur darauf, dass sie an die Westküste fliege und dort Probeaufnahmen mache. Einer habe sogar eine kleine Rolle, von der er meine, sie sei ihr wie auf den Leib geschrieben; um was es sich im einzelnen handele, wisse Kurtz nicht. Aber auch in der Londoner Theaterszene hätten sich ein paar schöne Möglichkeiten ergeben.
    »Ich möchte einfach wieder dorthin zurück, wo ich war«, sagte Charlie.
    Kurtz erklärte, das lasse sich machen, meine Liebe, kein Problem. Der Psychiater war ein aufgeweckter junger Mann mit einem fröhlichen Zwinkern in den Augen, der vom Militär kam und nicht das geringste für Selbstanalyse oder irgendeine andere Form schwerblütiger Nabelschau übrig hatte. Überhaupt schien sein Interesse nicht so sehr darauf gerichtet, sie zum Reden zu bringen, als vielmehr sie davon zu überzeugen, es nicht zu tun; er muss in seinem Beruf eine höchst gespaltene Person gewesen sein. Er nahm sie zu Autofahrten mit, erst die Küstenstraßen entlang, dann auch nach Tel Aviv. Als er jedoch so unbesonnen war, sie auf ein paar schöne alte arabische Häuser aufmerksam zu machen, die die Stadtentwicklung überlebt hatten, konnte Charlie vor Wut nicht mehr zusammenhängend reden. Er besuchte wenig bekannte Restaurants mit ihr, schwamm mit ihr, streckte sich sogar am Strand neben ihr aus und versuchte, sie durch sein Geplauder etwas aufzumuntern, bis sie ihm mit einem Kloß im Hals erklärte, sie würde lieber in seinem Ordinationszimmer mit ihm reden. Als er hörte, dass sie gern ritt, sorgte er dafür, dass Pferde bereitstanden, und sie machten zu Pferd einen wunderbaren Tagesausflug, in dessen Verlauf sie sich völlig zu vergessen schien. Am nächsten Tag war sie für seinen Geschmack jedoch viel zu still, und er riet Kurtz, mindestens noch eine Woche zu warten. Und - tatsächlich - noch am selben Abend bekam sie einen längeren und völlig unerklärlichen Anfall von Erbrechen, was um so merkwürdiger war, wenn man bedachte, wie wenig sie aß.
    Rachel, die
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