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Die letzte Visite

Die letzte Visite

Titel: Die letzte Visite
Autoren: Hans Gruhl
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eingeschlossen.
    »Verabredet war Doktor Bold mit
Fräulein Doktor von Stagg, wie er mir erzählte. Neun Uhr. Waren Sie hier,
Fräulein Doktor?«
    Sie nickte heftig.
    »Ja, ich war hier.« »Wann?«
    »Ich glaube, ich hatte mich etwas
verspätet. Es war vielleicht ein Viertel nach neun. Doktor Bold kam nicht. Ich
habe gewartet. Dann bin ich wieder nach unten gegangen. Oh, wenn ich gewußt
hätte...«
    Mitleidig sah sie mich an.
    »Sie haben niemanden bemerkt auf dem
Weg und hier?«
    »Nein, niemanden.«
    »Haben Sie eine geöffnete Luke
gesehen?«
    »Ich habe nicht darauf geachtet, Herr
Kommissar. Es war ja auch schon dunkel.«
    Er fragte mich. »Sie haben zu dieser
Zeit noch nicht gerufen?«
    »Nein. Ich war erst mal damit
beschäftigt, herauszufinden, wo ich mich festhalten kann.«
    »Haben Sie Schritte gehört?«
    »Nein. Erst die von Fräulein Rediess.«
    Bierstein sah mich mit verkniffenen
Augen an. Pinkus bewegte leise den Kopf hin und her, als vernähme er eine
Geschichte von Münchhausen.
    »Würden Sie uns erzählen, Fräulein
Doktor, aus welchem Grund Sie mit Doktor Bold verabredet waren?«
    »Ja, gern.« Ihre Stimme hauchte etwas.
»Am Tag, als das Morphium verschwunden war, waren wir beide hier oben gewesen
und hatten in zweien der Fenster ein merkwürdiges Licht beobachtet, vermutlich
von einer Taschenlampe. Doktor Bold meinte, Oberschwester Anna könnte in diesem
Zimmer nach dem Morphium gesucht haben. Aber er konnte sich nicht mehr genau
erinnern, welche Fenster es gewesen waren. Deshalb bat er mich, mit ihm
zusammen noch einmal zum Turm zu gehen.«
    »Vielen Dank, Fräulein Doktor.« Nogees
sagte es, als hätte sie ihm hundert Mark geschenkt. »Meine Herrschaften, Sie
werden mir zugestehen, daß wir nach Doktor Bolds gestrigem Erlebnis folgendes
annehmen können. Die Oberschwester hatte tatsächlich einen Verdacht und suchte
in einem bestimmten Zimmer. Sie hat das Morphium aber nicht gefunden. Es
tauchte dafür in Doktor Bergius’ Medikament wieder auf. Sie wurde dennoch
unschädlich gemacht. Ebenso sollte jetzt Doktor Bold unschädlich gemacht
werden, weil seine Beobachtung gefährlich für den Täter ist. Ich bin nicht
sicher, aber vielleicht gelingt es jetzt gemeinsam, das fragliche Fenster
wiederzufinden. Würden Sie bitte einmal hinuntersehen!«
    Wir wandten unsere Köpfe zum Haus hin.
Pinkus sah ungläubig aus, machte aber mit. Nogees schwenkte seinen Arm mit weit
ausholender Bewegung.
    Ich sah plötzlich einen Lichtfleck.
Jemand hielt eine starke Lampe hinter einem der Fenster, deren Schein auch im
Mittagslicht zu sehen war. Ich zählte. Das Fenster lag fast in der Mitte der
Front, es war das siebente vom rechten Ende des Hauses her gesehen, im
Obergeschoß. Die Lampe beschrieb ein paar Kreise.
    »Ich habe einen Herrn mit einem
Scheinwerfer beauftragt, nacheinander in diese Zimmer einzudringen, meine Damen
und Herren. Ich hoffe, Sie verübeln mir den ungesetzlichen Eingriff nicht. Weiß
jemand von Ihnen, in wessen Zimmer sich mein Mitarbeiter jetzt befindet?«
     
     
     

IX
     
    Ich dachte scharf nach. Bevor ich es
heraushatte, platzte Pinkus los.
    »Das ist dem Bold seins! Klarer Fall!«
    »So?« fragte Nogees höflich. »Sind Sie
sicher?«
    »Und wie! Braucht man ja bloß
abzuzählen. Der Ober hat die Zimmer auf der Ecke. Eins seiner Fenster geht zur
Seite raus, eins nach hinten. Das ist das erste von rechts, von uns aus
gesehen. Dann kommt Fräulein Doktor mit zwei Fenstern. Dann ich mit zweien. Und
dann unser Herr Röntgenologe. Gar keine Schwierigkeit.«
    »Sind Sie auch der Ansicht, Doktor
Bold?«
    »Ich muß wohl«, sagte ich zögernd. »Ich
habe mir das von hier aus noch nie klargemacht. Aber es stimmt.«
    »War das Licht am Abend in diesem
Fenster?«
    »Ich glaube nicht«, sagte ich. »Ich
hatte das Gefühl, es wäre weiter nach rechts gewesen... zur Ecke hin...«
    »Fräulein Doktor?«
    Edeltraud hatte rote Bäckchen.
    »Ach, wenn ich das noch wüßte. Ich habe
es ja erst gesehen, als Doktor Bold mich darauf aufmerksam gemacht hat. Es war
auch so kurz — natürlich, es könnte weiter hinten gewesen sein.«
    Wieder hob Nogees den Arm. Der Schein
verschwand, tauchte am benachbarten Fenster wieder auf. Immer noch mein Zimmer.
    Hoffentlich war es aufgeräumt.
    »Jetzt?«
    »Wenn er alle durchprobiert, erinnere
ich mich vielleicht besser.«
    Nogees winkte. Das Licht verlosch.
Jetzt war Pinkus dran. Nach ein paar Augenblicken blitzte der Schein hinter dem
ersten seiner Fenster.
    »Na,
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