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Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter

Titel: Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
Autoren: Anthony Mark
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schreckliche und uralte Kreatur hier sein, in einem sorgfältig gepflegten Hain unterhalb des königlichen Schlosses von Ar-Tolor?
    Zwischen den Bäumen bewegte sich ein Schatten. Der Umriss eines Mannes. »Ehrwürdige Schwestern? Ehrwürdiger Bruder? Stimmt was nicht?«
    Das war wieder die tiefe Stimme – die warme Stimme eines Mannes, nicht das trockene Zischen eines Drachen. Lirith begriff und zitterte am ganzen Leib. Wie konnte sie nur so dumm gewesen sein? Dort hockte gar kein echter Drache, sondern ein Mournisch-Wagen, der seine Gestalt nachempfand. Jetzt, wo sie genauer hinschaute, konnte sie die Speichenräder des Fahrzeugs erkennen, seine runden Fenster und die abblätternden, aufgemalten Schuppen des Drachenhalses. Doch sie hatten den Wagen zuvor nicht gesehen. Warum stand er getrennt von all den anderen?
    Der Mann trat einen Schritt näher an sie heran, wartete noch immer auf eine Antwort.
    Lirith schluckte. »Es war nichts, Sir. Ein Schatten aus der Vergangenheit, der gleich wieder verschwunden sein wird, das ist alles.«
    Der Mann hielt inne, und es hatte den Anschein, als würde er erstarren. Dann sagte er leise: »Ich habe auf meinen Reisen gelernt, dass es für gewöhnlich besser ist, das, was man in den Schatten sieht, nicht zu ignorieren.«
    Bevor Lirith etwas erwidern konnte, hallte eine krächzende Stimme durch das Wagenfenster.
    »Sareth, wer ist da draußen? Ich kann sie nicht sehen, verflucht sei mein nachlassendes Augenlicht. Ich sollte meine Augen Mirgeth für seine Gläser geben, wo sie mir doch so gut wie nichts mehr nutzen.«
    »Es sind … zwei wunderschöne Damen und ein ernster Ritter, Al-Mama.«
    »Nun, bring sie her, wo ich sie mir ansehen kann. Ich werde ihnen ihr Schicksal vorhersagen.«
    »Hier entlang«, sagte der Mann und zeigte auf den Wagen. »Al-Mama wartet nicht gern. Sie sagt, in ihrem Alter hat sie keine Zeit mehr für Geduld.«
    Er drehte sich um und ging auf den Wagen zu. Lirith blickte Aryn und Durge an, aber die zuckten bloß mit den Schultern. Anscheinend blieb ihnen nichts anderes übrig, als dem Mann zu folgen.

3
    Der Mournisch ging mit schnellen Schritten – obwohl sein Gang einen seltsamen Rhythmus aufwies –, und sie erreichten den Wagen in wenigen Augenblicken. Rauch und der Geruch nach Zitronen stiegen in der purpurnen Luft in die Höhe. An der Dachrinne des Wagens baumelten Kupferstücke und erfüllten den Hain mit melodischen Tönen.
    Der Mann wandte sich ihnen zu.
    »Was habt Ihr damit gemeint?«, fragte Lirith, bevor er sprechen konnte. »Vorhin, als Ihr sagtet: ›Da gehen die Sonne und der Mond‹?«
    Der Mann lächelte, in dem vorzeitigen Zwielicht unter den Bäumen schimmerten seine Zähne sehr weiß. »Das ist ganz einfach, Beshala. Ihr seid so strahlend wie die Sonne und Eure Schwester so glänzend wie der Mond.«
    Durge räusperte sich. »Und was war das mit der Wolke?«
    Der Mann schlug dem Ritter auf die Schulter. »Das war keine Beleidigung, guter Bruder. Denn die Wolke verschafft Sonne und Mond die Gelegenheit, sich auszuruhen, wenn sie sich über sie legt.«
    Selbst in dem Zwielicht konnte man sehen, dass Durge errötete. »Ich habe mich nicht … das heißt, ich lege mich nicht auf sie … ich will damit sagen …«
    Der Mann lachte – der Laut klang so fröhlich wie das Windspiel, war aber Oktaven tiefer und hallte in Liriths Brust wider. Aus einem unerfindlichen Grund war ihre Neugier geweckt, und sie musterte ihn.
    Die Haut des Mournisch hatte die Farbe von verbranntem Zucker, und seine Augen waren so dunkel wie alte Kupfermünzen. Sein schwarzes Haar war kurz, aber dicht und gelockt, und sein Spitzbart schimmerte voll Öl. Er trug nur ein Paar blauer Pluderhosen nach der Mode der Mournisch, und die offene rote Weste entblößte eine flache Brust. Auf seinen Unterarmen waren ein Dutzend kurzer, dünner Narben zu sehen. Die Narben verliefen in präzisen, parallelen Reihen, was Lirith auf den Gedanken brachte, dass sie eine rituelle Bedeutung hatten. Er roch nach Schweiß und scharfen Gewürzen. Es war kein unangenehmer Geruch.
    Das Lachen des Mannes verklang, und er kniff die Augen zusammen, so als würde er Liriths Aufmerksamkeit bemerken. Sie schaute schnell zur Seite.
    »Sareth, wo sind sie?«, rief die krächzende Stimme aus dem Wagen. »Es ist fast Zeit für meinen Tee.«
    Sareth grinste wieder. »Meine Al-Mama wird euch jetzt empfangen.«
    Er zog an einem Griff in der Nähe des Drachenschwanzes, und eine Tür schwang auf.
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