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Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
Autoren: Anthony Mark
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großer Ferne zu kommen, zugleich war er deutlich zu hören und kristallklar. Er erinnerte ihn an die Glöckchen eines durch die Winternacht fahrenden Schlittens. Er ließ die Hand sinken und legte den Kopf schief, um zu lauschen. Doch alles, was er jetzt hörte, war das leise Rauschen des über die Felsen streichenden Windes. Nach einem langen Augenblick fröstelte er, ihm fiel wieder ein, daß er in den Saloon mußte. Was auch immer dieser Laut gewesen war, er war verstummt, falls er überhaupt je in der Realität existiert hatte. Travis ging zum Wagen zurück.
    Der Wind drehte sich und trug ein leises, aber deutlich zu hörendes Glockenspiel mit sich.
    Travis fuhr auf dem Absatz herum. Wieder verstummten die Glöckchen, aber diesmal wußte er genau, aus welcher Richtung die Laute gekommen waren. Sein Blick wanderte über die verdorrte Grasfläche, bis er ein paar hundert Meter entfernt auf die dunkle Masse stieß. Travis, dafür hast du jetzt keine Zeit. Aber da ging er bereits über das Feld, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben.
    Eine Minute später ragte das Waisenhaus drohend vor ihm auf und verdeckte ein Stück des quarzblauen Himmels. Er war noch nie so nahe bei der Ruine gewesen. Jetzt ähnelten die Fenster eher aufklaffenden Mündern statt starrenden Augen. An den verbrannten Holzwänden klebten Flechten wie eine Art Geschwür. Selbst nach all diesen Jahren verströmte dieser Ort einen leichten, beißenden Brandgeruch, der eine unbestimmbare Bedrohung in sich trug. Travis hielt den Atem an: Da war nur die unheimliche Stimme des Windes und Stille, sonst nichts.
    Er bahnte sich einen Weg durch einen kleinen Streifen trockener Disteln und ging um das Haus herum. Auf der Rückseite standen zwei separate Nebengebäude. Sie befanden sich weit genug vom Haupthaus entfernt, so daß das Feuer nicht auf sie übergegriffen hatte. Matte Farbe blätterte von ihren Wänden ab, die Türen wurden von verrosteten Vorhängeschlössern gesichert. Es handelte sich wohl um eine Art Lagerschuppen. Ein schmaler Durchgang führte zwischen den Gebäuden vorbei, fast wie eine Gasse. Hatte sich da etwas in dem Dämmerlicht bewegt?
    Er trat einen Schritt in den Durchgang zwischen den Schuppen, in dem Halbdunkel erkannte er einen Haufen Altmetall und ein altes Regenfaß. Das war alles. Er wollte sich gerade umdrehen, als er zu seinen Füßen ein Funkeln entdeckte. Er ging in die Hocke und fand frische Spuren. In ihnen hatte sich aus dem Erdboden gesickertes Wasser gesammelt, das das zur Neige gehende Tageslicht reflektierte. Die Abdrücke stammten von kleinen, gespaltenen Hufen, vermutlich ein Maultierhirsch. Sie wanderten im ganzen Tal herum. Travis erhob sich mit einem Schulterzucken und drehte sich um, um zu seinem Wagen zurückzugehen.
    Diesmal erklangen die Glöckchen ganz in der Nähe. Sehr nah sogar.
    Travis fuhr herum. Da. Etwas hatte sich bewegt – eine schattenhafte Form neben dem Regenfaß.
    »Wer ist da?« rief er. Keine Antwort. Er machte noch einen Schritt in die Richtung. Schatten schlossen sich hinter ihm, ein neues Geräusch war zu hören … so etwas Ähnliches wie ein Lachen. Es war schrill und schallend, das fröhliche Lachen eines Kindes oder einer uralten Frau. Das Regenfaß schwankte hin und her, kippte um. Wasser schoß über den Boden, so dunkel wie Blut.
    Travis' Herz krampfte sich in seiner Brust zusammen. Er wich rückwärts aus der Gasse. Wieder ertönte das spöttische Gelächter. Er biß sich auf die Lippe, um einen Angstschrei zu ersticken, drehte sich um, stolperte über seine eigenen Füße und rannte los.
    Er stieß gegen etwas Großes, Unnachgiebiges, und diesmal schrie er auf. Er taumelte zurück und blickte auf.
    »Mein Sohn, kann ich dir irgendwie helfen?«
    Der Mann, der dort vor Travis stand, sah aus, als käme er achtzig Jahre zu spät zu einer Beerdigung. Sein schwarzer Anzug aus mottenzerfressener Wolle war antiquiert und von einem seltsamen Schnitt, mit langen Schößen und hohem Kragen. Der Anzug hing locker auf dem knochigen Körper des Mannes, während das darunter befindliche Hemd das Gelb alter Knochen angenommen hatte; der Kragen war mit einem schlaff herabhängenden String-Tie gebunden, der im Wind pendelte. Der Mann riß die Hand hoch, um zu verhindern, daß die Böe seinen breitkrempigen Hut herunterriß.
    »Sohn, ich sagte, kann ich dir helfen? Ich meine, brauchst du irgendwie Hilfe? Entschuldige, wenn ich das sage, aber du siehst so blaß aus wie Lot, nachdem er aus
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