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Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
Autoren: Anthony Mark
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werden Gebrechen geheilt –
der Glaube wiederhergestellt –
Seelen gerettet
    Darunter hatte jemand in einer krakeligen Schrift – wie in einem nachträglichen Einfall – geschrieben:
    Tritt ein – wir wollen Dich erretten!
    Bruder Cy trat zurück, verschränkte die Arme und betrachtete sein Reich.
    »Läuft alles zufriedenstellend?« fragte eine helle Stimme hinter ihm.
    Er fuhr herum, und sein hageres Gesicht verzog sich zu einem kadaverhaften Grinsen.
    »Das tut es allerdings, Schwester Mirrim.« Er streckte die Hand aus, um einer Frau die Stufen des Busses herunterzuhelfen. »Sehen Sie? Unsere Zitadelle steht wieder.«
    Schwester Mirrim betrachtete das Zelt. Man konnte ihr Antlitz als ebenmäßig, wenn nicht sogar als schön bezeichnen, aber ihre altmodische Kleidung war ausgesprochen schlicht. Sie trug ein enganliegendes Kleid in Trauerschwarz und an den Knöcheln zuzuknöpfende Schuhe von der Art, die man bis zum heutigen Tage in den Gemischtwarenläden zahlloser staubiger Städte Oklahomas finden konnte – die Art von Schuhen, die von der unversöhnlichen Härte eines anderen Jahrhunderts kündeten. Doch ihr langes Haar wehte im Wind und leuchtete selbst im fahlen Licht der Mondsichel feuerrot.
    Ein Kind folgte Schwester Mirrim die Stufen hinunter, ein kleines Mädchen, dessen schwarzes Kleid eine genaue, winzige Kopie von dem der älteren Frau darstellte. Sein Haar hatte jedoch die Farbe der Nacht, und es blickte Bruder Cy mit klugen, violetten Augen an. Er nahm es auf den Arm. Die Kleine schlang eine winzige, kühle Hand um seinen Hals und drückte den weichen Rosenknospenmund auf seine Wange.
    »Ich liebe dich auch, Kind Samanda«, sagte Bruder Cy gedankenverloren.
    »Aber sicher«, erwiderte Samanda leise.
    Er setzte das Mädchen wieder auf dem Boden ab, und das Trio ging Hand in Hand auf das Zelt zu. Der Wind pfiff durch Seile und Falten und beschwor ein trauriges Lied herauf.
    »Werden sie kommen, Bruder Cy?« fragte Schwester Mirrim; ihre Stimme klang wie der Ruf einer Taube. »Ich habe mich umgeschaut, aber ich kann sie noch nicht sehen.«
    Er blickte an dem Zelt vorbei in das sich dahinter anschließende Tal mit seiner zufällig angeordneten Lichtersammlung, die in der Nacht funkelte. Castle City. Dort drängten sie sich um die warmen Lichter ihrer kleinen Häuser und wußten nichts von der Finsternis, die sich näherte. Aber diese Finsternis war noch so fern, so seltsam, so schrecklich weit weg. Wie konnten sie darüber Bescheid wissen? Wie sollten sie begreifen, daß es um ihre Seelen ging? Doch auf irgendeine Weise mußte man es ihnen begreiflich machen. Aus diesem Grund waren Bruder Cy und die anderen an diesen Ort gereist.
    Schließlich sagte Bruder Cy: »Sie müssen einfach kommen. So viele von ihnen müssen ihren Teil dazu beitragen.«
    Schwester Mirrim schüttelte den Kopf, ihre Frage war unbeantwortet geblieben. »Aber werden sie es auch tun?«
    Diesmal war es Samanda, die das Wort ergriff.
    »O ja«, flüsterte sie. »Sie kommen.« Sie zog die winzigen Puppenhände aus den Händen der Erwachsenen und trat einen Schritt näher an die sich unter ihnen erstreckenden Lichter heran. »Aber in ihrer Mitte gibt es zwei Personen, deren Aufgaben viel schwieriger als die der anderen sein werden. Wir können nicht wissen, ob sie die Stärke haben, ihre Last zu tragen.«
    Bruder Cy nickte ernst. »Aber wir können beten, mein kleiner Spatz.«
    Eine kühle Brise jagte von den hohen Gipfeln herunter, und die drei blickten auf und sahen zu, wie das Zelt unter dem Windstoß erzitterte. Die Laternen, die im Inneren an ihren Drähten tanzten, erschufen verrückte Schatten, die über die Segeltuchwände flackerten, während die Handlanger sich beeilten, das Zelt gegen die Windböen abzustützen. Einige der Silhouetten waren gedrungen wie Stümpfe, während andere wiederum seltsam groß erschienen, mit Fingern so schlank wie Äste. Einige schienen Geweihe zu tragen, die jungen Schößlingen gleich aus ihren Köpfen sprossen, während andere den Anschein erweckten, als gingen sie auf verkrüppelten Beinen und zögen aufgeregt zuckende Schwänze hinter sich her. Doch flatterndes Segeltuch konnte Schatten verzerren und den Sinnen Streiche spielen. Der Wind verlor an Stärke, das Zelt wurde ganz ruhig, und die Schatten zogen sich von den Wänden zurück.
    »Kommt, laßt uns reingehen«, murmelte Bruder Cy.
    »Um auf sie zu warten?« fragte Schwester Mirrim.
    Das Kind Samanda nickte voller Überzeugung.
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