Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Legende unserer Väter - Roman

Titel: Die Legende unserer Väter - Roman
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Jean-François Delsaut, Francis Beels, die Pruvosts, die Berthets und ich. Er wandte sich nur noch an seine Tochter.
    »Ich war niemals Widerstandskämpfer. Am 11. November 1940 habe ich, zusammen mit zwei Kameraden, Blumen auf das Grab eines englischen Soldaten gelegt. Das ist alles, meinMädchen. Während des Krieges war ich nur darum bemüht, mein Essen zu verdienen. Dann hatte ich den Unfall in der Werkstatt.«
    Lupuline, matt und bleich, hielt den Kopf gesenkt. Sie hatte es gewusst. Da war ich mir sicher. Sie hatte das alles gewusst.
    Er deutete mit dem Kopf auf mich.
    »Du hast mich gebeten, mich mit diesem Mann zu treffen. Das habe ich getan, aber er hat sich nicht mit mir getroffen.«
    Ich sah auf mein Buch, das wie tot in all den Händen lag. Ich bekam keine Luft. Mein Glas stand gefährlich nah am Rand.
    »So, jetzt heiße ich euch willkommen, alle, aber wenn ihr wollt, könnt ihr diesen Tisch auch verlassen. Ich würde es verstehen«, murmelte Beuzaboc. Er beugte sich über den Tisch. Entfaltete seine Serviette, streichelte den Schmetterling, die Kastanie und das herbstliche Blatt. »Ich bitte euch um Verzeihung.«
    Er wollte sich setzen und tastete blind mit der Hand nach der Lehne. Das Poltern des kippenden Stuhls holte Lupuline zu uns zurück. Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und hob den Kopf. In ihren Zügen lag die Beuzaboc’sche Schönheit. Er wollte seine Tochter bei sich haben. Da stand der gebrochene Riese, eine Hand auf dem Tisch, die andere in der Luft rudernd, und gestand ihr, dass er es nicht allein schaffte.
    Lupuline erhob sich vom Tisch. Nicht das hastig aufspringende Mädchen, sondern die ruhige Frau. Ging in der Stille danach langsam zu ihrem Vater. Sie sahen sich an. Er und sie, außer ihnen gab es nichts mehr. Sie lösten ihre Blicke nicht mehr voneinander. Lupuline schob eine Hand unterseinen Arm, legte die andere um seinen Rumpf und half ihm, sich hinzusetzen. Als er saß, beugte sie sich zu ihm hin und murmelte: »Danke, Papa.«
    Er war verblüfft. Fast erleichtert. Hatte seinen Beuzaboc-Blick wieder, den wahren, der einen Mann aus ihm machte. Lupuline richtete sich auf.
    »Hilfst du mir, Lili?«
    Die kleine Wasselin stand eilends auf.
    Die beiden Frauen gingen in die Küche.
    Das Schweigen endete abrupt. Das Zimmer hatte wieder die Farben des Herbstes, der Schmetterlinge und gemalten Kastanien angenommen. Die Bücher wurden auf das Tischtuch zurückgelegt. Francis Beels hustete und zog seinen Stuhl heran. Doktor Goedert entfaltete seine Serviette. Pruvost legte seine Hand auf die seiner Frau. Jean-François Delsaut hob sein Glas, wie Freunde es tun.
    Ich löste mich von meiner Wand, ging um den Tisch herum und verneigte mich vor Tescelin Beuzaboc. Vor ihm lag immer noch sein aufgeschlagenes Buch, von seinem Daumen und zwei Fingern festgehalten. Ich legte meine Hand auf seine. Haut an Haut beendete ich taktvoll unsere Geschichte. Er wehrte sich nicht, sondern kam meiner Geste entgegen. Er hob den Kopf und sah mich an. Seine Augen waren stumm. Er sagte nichts. Und ich sagte nichts.

    Als ich das Zimmer verließ, hoffte ich, dass Lupuline mir nachkäme. An diesem Abend trug sie kirschrote Ballerinas aus gefälteltem Leder. Ich ging durch den Flur. Richtung Eingang. Auf dem Tischchen stand die rotweiße Dose mit der Zigarette im stählernen Deckel. Ich öffnete die Tür. MeinHerz war leicht und schwer zugleich. Ich fühlte mich traurig und geschwächt wie nach einem Trauerfall. Ich nahm die vergessene Zigarette. Steckte sie mir in den Mund. Nur so, ohne sie anzuzünden. Schmeckte mit geschlossenen Augen das Aroma von hellem Honig.

    Draußen war es dunkel. Als ich über die Schwelle trat, kam Fives mir entgegen. Er hatte auf mich gewartet, an die gegenüberliegende Hauswand gelehnt. Er legte mir den Arm um die Schulter. Im Schein der Straßenlampe lächelte Trompette. Er rieb sich die Hände, schlug den Jackenkragen hoch, kontrollierte mechanisch die Straße. Dann gingen wir los.

Informationen zum Buch
    Einmal pro Woche, immer dienstags zwischen 16 und 17 Uhr, treffen sie sich: der ehemalige Journalist Marcel Frémaux und der große, imposante, über achtzig Jahre alte Tescelin Beuzaboc. Es ist sehr heiß in diesem Sommer 2003 in LilIe; auch in der abgedunkelten, karg eingerichteten Wohnung Beuzabocs herrscht drückende Hitze. Beuzaboc besteht darauf, dass während der Gespräche kein Tonband laufen darf. Marcel Frémaux, der im Auftrag von Beuzabocs Tochter Lupuline
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher