Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Legende unserer Väter - Roman

Titel: Die Legende unserer Väter - Roman
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Serviettenringe mit je einem Schmetterling, einem herbstlichen Blatt und einer Kastanie aus bemaltem Holz beklebt. Da der Tisch zu kurz war, hatte sie eine Verlängerung hinzugefügt, die das Tischtuch schlecht und recht verhüllte. Ihr Vater sollte am Kopfende sitzen.
    Sie öffnete das Paket, das ich ihr überreicht hatte. Es war ein schönes Buch geworden. Etwas, das man sich gern ins Regal stellt. »Beuzaboc« stand in Nachtblau auf dem Einband und auf dem Rücken. In einer feinen, zurückhaltenden, leicht geneigten Schrift. Nicht fett, nicht groß, nicht grell. Die Bücher waren noch in ihrer Zellophanhülle. Wie Lupuline es sich schließlich gewünscht hatte, war der Deckel perlgrau mit einem Umschlag von derselben Eleganz. Kein Foto, keine Illustration, nichts von all den Dingen, die nach Bahnhofskiosk aussehen. Nur diese ruhige Farbe, die blaue Schrift und der leere Raum, die Literatur verheißen. Auf der Rückseite ein Absatz aus dem Text: »Niemand hatte den Schuss gehört. Der Soldat fiel einfach rücklings von der Plattform, fast langsam. Als ob er über eine Stufe gestolpert wäre. Ich sah, wie ein anderer Deutscher ihm lachend die Hand hinstreckte. Ich hatte einen Menschen getötet, und sein Freund lachte. Dannsteckte ich die Pistole in meinen Gürtel und fuhr davon.« Darunter: Tescelin Beuzaboc.
    Lupuline strich lächelnd über die seidige Hülle. Sie hatte unter jede Serviette ein Buch gelegt, rechts von den Tellern. Als sie den Platz ihres Vaters arrangierte, fiel ihr auf, dass mein Name nirgends auftauchte. Bevor sie mich als Biographen engagiert habe, habe ein Konkurrent gefordert, dass sein Name genannt werden müsse. Ich reagierte mit einer unwilligen Geste. Es sei ja nicht meine Geschichte, sondern die eines anderen. Und das Werk dieses anderen. Ein Biograph solle zuhören, verstehen, schreiben und dahinter verschwinden.
    Lupuline hob das Buch, als wollte sie mir damit winken. So dankte sie mir über den gedeckten Tisch hinweg. Ich trank ein Glas Wein zur Begrüßung. Ich war der erste Gast. Der Rest kam erst später.

    Lupuline ging mit einem Tablett von einem zum anderen. Beuzaboc trat als Letzter ein. Seit diesem Tag war er vierundachtzig. Er stützte sich auf seinen Stock, hinkte ein wenig, aber nicht allzu schlimm. Er wirkte anwesend und abwesend zugleich. Schenkte jedem ein Wort, eine Geste. Legte seine Hand auf eine Schulter, gab Küsschen, drückte einen Arm. Sah das Buch auf seinem Platz liegen und runzelte sorgenvoll die Stirn.
    Dann kam er auf mich zu. Nahm mich einfach in die Arme. Wie ein Vater, ohne ein Wort, einen Blick zu viel. Das hatte er noch nie getan. Bei niemandem.
    Mit herzlicher Geste lud Lupuline die Gäste ein, ins Esszimmer zu gehen. Mir brummte der Schädel. Mit zitternder Hand hielt ich mein leeres Glas. Beobachtete Beuzaboc. Ertraute sich nicht zu seinem Platz. Warf verstohlene Blicke auf das Buch, den schlichten grauen Umschlag. Ließ sich Zeit.
    Die Erste, die sich an den Tisch setzte, war die kleine Wasselin, eine Freundin von Lupuline und seit Anfang des Jahres Ärztin. Sie lachte, redete ein bisschen zu laut, und Francis Beels verschlang sie mit den Augen. Die Pruvosts hatten sich anscheinend im Auto gezankt. Er lächelte schief, sie überhaupt nicht. Lupuline zeigte allen ihren Platz, indem sie mit singender Stimme die Namen nannte. Die kleine Wasselin bemerkte weder den Schmetterling noch das Blatt noch die Kastanie. Sie entfaltete ihre Serviette und legte sie sich in den Schoß. Sah das Buch. Rührte es aber nicht an. Blickte auf.
    »Was ist das denn, Tescelin?«
    Beuzaboc lächelte traurig, den Stock auf den Boden gestellt.
    »Setzt euch, ich werde es euch erklären.«
    Ich blieb stehen, an die Wand gelehnt. Niemand hatte die Schutzhülle aufgerissen.
    »Du hast deine Biographie geschrieben?«, fragte Doktor Goedert.
    »Nicht ganz, ich habe sie einem Profi erzählt, und er hat sie niedergeschrieben.«
    »Das ist ja toll!«, rief Line Démory.
    »Das ist der Autor«, sagte er und zeigte auf mich.
    Ein paar Gäste applaudierten schwach, ohne besonderes Interesse.
    Ich wehrte verlegen ab.
    Der alte Mann stand an seinem Platz, den Stuhl zurückgeschoben.
    Er legte die Hand auf das Buch. Den eleganten Umschlag.Betrachtete seinen Namen, Blau auf Grau. Hielt es sich unter die Nase, um den erregenden Duft frischer Druckertinte einzusaugen. Schnüffelte lange daran. Er zitterte. Legte das Buch zurück und strich mit den Fingern darüber. Dann las er den Absatz auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher