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Die Legende

Die Legende

Titel: Die Legende
Autoren: Johanna Marthens
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nachts, du musst einen Weg finden, tief zu schlafen, damit sie dir nicht die Ruhe rauben. Das ist wichtig.«
    So langsam wunderte ich mich doch, warum er mir das alles erzählte.
    »Das ist doch alles nicht mehr wichtig, wenn du mich gleich tötest.«
    Am Horizont flackerte ein schmaler roter Lichtschein auf und leuchtete durch den immer dichter werdenden Nebel. Irgendwo brannte es. Schreie ertönten in der Ferne. Die Armee des Fürsten rückte näher.
    Doch mein Vater hörte nicht auf zu sprechen. Und nun entdeckte ich auch, wie müde er auf einmal wirkte. Seine Augen hatten ihr Leuchten verloren, seine Haut wirkte im Mondlicht fahl und bleich. Und auf einmal dämmerte mir, warum er das alles erzählte. Er hatte gesagt, die Gaben würden nach seinem Tod auf mich übergehen. Ich sah an seinem Körper hinab und erblickte eine riesige Blutlache zu seinen Füßen. In seinen Handgelenken klafften tiefe Schnitte, aus denen unaufhörlich Blut floss.
    »Papa, nein, was hast du getan!«, rief ich. Ich wollte seine Arme nehmen und den Blutfluss stoppen, doch ich konnte nicht, weil er mir die Hände gefesselt hatte. Er wollte sterben. »Nein! Papa! Nicht du!«
    Tränen rannen mein Gesicht hinunter.
    Er strich mit der blutigen Hand über mein Gesicht. »Ich habe dir verschwiegen, dass auch ein Blutsverwandter der Anwesenden sich opfern kann. Ich wollte nicht, dass du mich daran hinderst.«
    Ich hätte ihn mit allen mir zur Verfügung stehenden Kräften daran gehindert, da hatte er Recht. Doch jetzt konnte ich es nicht.
    Er musste sich setzen und lehnte seinen Kopf an den Stein. »Ich habe dich immer alleingelassen, dich und deine Schwester. Das ist das Mindeste, was ich für euch tun kann.«
    Ich schluchzte, als ich hörte, wie seine Stimme mit jedem Wort leiser wurde. Ich versuchte, meinen Kopf an den seinen zu lehnen, um ihm so nah wie möglich zu sein.
    »Ich werde dich nie vergessen, niemals«, sagte ich. »Und wenn wir das hier heil überstehen, werde ich jedem erzählen, was für ein wunderbarer Vater du warst.«
    »Danke.« Es war nur noch ein Murmeln. Das Messer entglitt seiner Hand. Ich beugte mich nach vorn, um es zu ergreifen, doch es rutschte immer wieder aus meinen Händen. Endlich gelang es mir, es festzuhalten und mühsam die Fesseln damit durchzuschneiden.
    »Papa!«, rief ich schließlich, als ich frei war. Ich beugte mich zu ihm, doch es war zu spät. Er atmete nicht mehr, sein Herz hatte aufgehört zu schlagen. In diesem Moment hörte ich es. Ein markerschütternder Schrei, der aus den tiefsten Tiefen der Erde zu kommen schien, durchbrach die Nacht. Er dauerte ewig an. Er ließ die Krähen aufstieben und in alle Himmelsrichtungen zerstreuen. Der Nebel wurde ganz plötzlich in eine Richtung gesogen, als würde ihn jemand einatmen. Die Kälte verflüchtigte sich. Minuten später hatte ich das Gefühl, dass der Schrei schwächer wurde. Es war, als würde die Welt vibrieren, sich die Luft verflüssigen und in die Erde fließen. Es sah aus, als würde sogar der Mond wie von einem Schwarzen Loch zur Erde gezogen. Er sank immer tiefer, verformte sich. Und dann auf einmal krachte es wie bei einem Vulkanausbruch, dann war es schlagartig still. Der Mond saß wieder an der richtigen Stelle. Der Nebel war verschwunden, die Krähen ebenfalls. Und die Nacht war warm und mild wie jedes Jahr im Sommer in Mullendorf.
    Er hatte es geschafft. Mein Vater hatte den Dämon besiegt. Schluchzend strich ich über sein erkaltendes Gesicht und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. Er war mehr Vater, als ich je zu hoffen gewagt hatte. Und das würde ich niemals vergessen.
     

Bittersüßer Nachgeschmack
     
    Das Leben in Mullendorf schien nicht mehr das, was es mal war. Obwohl es sich erstaunlich schnell wieder normalisierte. Meine Mutter hatte, nachdem ich ihr von den Ereignissen der Nacht erzählte, den Glanz in den Augen wieder verloren, er war einem traurigen Blick, aber auch einem stolzen Leuchten gewichen. Sie ging nicht mehr so aufrecht wie während des Kampfes gegen den Dämon, aber sie gab sich Mühe. Sie versuchte, nicht mehr zu trinken und erzählte jedem im Ort, was für ein Held ihr Mann gewesen war. Mit jeder Erzählung wurde es noch dramatischer und heldenhafter, aber ich ließ sie gewähren. Es war schön, endlich einen Vater zu haben, auch wenn er nun wirklich tot war.
    Über Robert und Leif wusste im Dorf nun jedermann Bescheid, auch dass ich mit Robert liiert war. Aber niemand wollte den ehemaligen Bürgermeister
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