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Die Legende

Die Legende

Titel: Die Legende
Autoren: Johanna Marthens
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wirklich sorgen. Vielleicht tat er es auch, vielleicht war ihm der Ort tatsächlich so ans Herz gewachsen, dass er alles unternehmen wollte, um seine Bewohner zu retten. Aber dieses Mal konnte er nicht viel tun. Es lag in meiner Hand. Ich hatte keine richtige Angst vor dem Tod, weil ich wusste, dass es mein Vater so schmerzlos wie möglich tun würde. Es bemächtigte sich meiner dennoch ein seltsames, unangenehmes Gefühl. Eine Aufregung, die mein Herz schneller schlagen ließ und mir den Magen umdrehte. Ich dachte nicht daran, ob mich diese vertrauten Menschen um mich herum vermissen würden. Ich dachte nur daran, dass ich sie vermissen würde. Aber ich wüsste wenigstens, dass sie lebten. Ich lächelte ein wenig und beteiligte mich wieder an dem Gespräch.
    Die richtige Verabschiedung kam erst Stunden später. Allerdings durfte ich es nicht zu auffällig machen, weil sie sonst Verdacht schöpfen würden.
    Zuerst ging ich zu Viviane, um mich nach dem Fortschreiten ihres Dämonenzaubers zu erkundigen. Als sie mir alles erklärt hatte, umarmte ich sie und wünschte ihr viel Glück. Sie ließ es geschehen und plapperte weiter von ihren Hexenkünsten. Ich hörte mir alles brav an, dann winkte ich ihr Lebewohl. Als nächstes kam Pfarrer Bernhard an die Reihe. Er hatte die sterblichen Überreste seines Besuchers aufgebahrt und ich konnte sehen, dass er geweint hatte. Auch ihn drückte ich. Als ich ihm viel Glück als Bär wünschte, wunderte er sich ein wenig, aber ich konnte schnell eine Ausrede für den Wunsch finden.
    Schwieriger war es bei meiner Mutter und Isabelle. Ich saß mit den beiden vor dem Fernseher. Ein Reporter  berichtete, dass ein weiteres Vampirlager in Flammen stände und viele Insassen geflüchtet seien. Zudem wäre eine Armee aus Grabflüchtern gesehen worden, angeführt von einem rotäugigen ziegenbockähnlichen Monster. Ich strich meiner Schwester übers Haar, was sie wütend aufbrausen ließ, und gab meiner Mutter einen Kuss, bevor ich mich zur Nacht verabschiedete. Doch ich ging nicht auf mein Zimmer. Ich lief zu Robert und Leif in die Tankstelle. Ein letztes Mal nahm ich Roberts kühle Hand und küsste ihn, während Leif ungehalten die Lagerbestände prüfte und mich anschnauzte, weil ich zu wenig verkauft hätte. Ihm hörte ich nur geduldig zu und nickte zum Abschied. Dann machte ich mich auf den Weg zur alten Mühle, dem Ort, wo ich schon einmal fast gestorben wäre. Dieses Mal musste es wirklich sein.
    Mein Vater wartete bereits auf mich. Er ging im Mondlicht unruhig auf und ab. Unaufhörlich beobachtet von den Krähen, die sich immer zahlreicher versammelten.
    Als ich bei ihm ankam, stellten wir ein Pentagramm aus Kerzen auf. In der Mitte lag ein Stein wie ein Altar. Wir sprachen kein Wort dabei. Ich sah lediglich die traurigen Augen meines Vaters, als er mich an dem Stein festband und mir wortlos die Hände fesselte. Danach drehte er sich um und wandte sich dem Mond zu. Er hielt das Messer in die Höhe und murmelte etwas zu der milchigweißen Scheibe hinauf. Dann senkte er das Messer und setzte das Murmeln fort. Ich verstand nicht ein einziges Wort. Es dauerte eine Weile, bis er sich wieder zu mir hockte.
    Ich schloss die Augen. »Tu es jetzt, bitte.«
    »Ich habe dir nicht die ganze Wahrheit über deine Gabe erzählt«, sagte er auf einmal. Ich öffnete die Augen. »Was meinst du?«
    »Zu den Visionen gehört noch mehr, aber das wird erst später kommen. Ich habe es nicht einmal dem Fürsten erzählt, und ich nutze es kaum, damit niemand etwas davon merkt. Allerdings habe ich davon Gebrauch gemacht, als ich die persönlichen Dinge von dir gestohlen habe.«
    »Was meinst du? 
    »Du kannst Gegenstände mit der Kraft deiner Gedanken bewegen. Und du kannst die Stimmen der Toten hören, wenn sie mit dir sprechen wollen. Das ist nicht einfach und bedarf einer Menge Übung. Du darfst vor allem keine Angst vor ihnen haben. Sie können dir nichts tun.«
    Ich hatte keine Ahnung, warum er mir das jetzt erzählte. »Mich mit ihnen auch noch rumzustreiten, werde ich zum Glück nicht mehr lernen müssen«, versuchte ich zu scherzen.
    »Sie werden viel von dir fordern, aber du musst nicht jeden ihrer Wünsche erfüllen. Du kannst versuchen, sie zu ignorieren, aber ich fürchte, es wird dir nicht gelingen. Mir jedenfalls ist es nicht gelungen.«
    »Wenn ich im Himmel oder in der Hölle bin, werden die Toten nur so auf mich einstürmen, dann wird es schwer, sie zu ignorieren.«
    »Sie kommen meistens
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