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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition)
Autoren: Michael Roes
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füllt sich der Club. Rafał hat nun zu tun. Ich nippe hin und wieder an meinem Fruchtcocktail und beobachte diesen fremden Mann. Das einzige, was uns einmal, wenn auch nicht auf freundschaftliche Art, verbunden hat, die Musik, spielt nun keine Rolle mehr. Nicht einmal einen Grund zur Eifersucht gibt es noch. Was ich sehe, ist ein Körper, von dessen Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen oder Sehnsüchten ich nichts weiß. Sicher, es gab eine Zeit, in der ich davon auch nichts wissen wollte. Und ich spüre ein wenig von der früheren Wut auf ihn in mir aufsteigen. Trotz aller Fremdheit umgibt ihn immer noch diese verdammte Aura vollkommener Selbstgewissheit. Ich frage mich, ob mit all seinen Erinnerungen auch sein Interesse an mir verloren gegangen ist, und im selben Augenblick ärgere ich mich über diesen Gedanken. Was gehen mich seine merkwürdigen Vorlieben an!
    »Willst du noch einen Drink?«, fragt er. »Geht aufs Haus!« – Seine Gebärden sind nicht unfreundlich, aber so kühl und professionell wie seine Arbeitsgesten. Weder gibt er mir zu verstehen, ich sei ihm inzwischen lästig oder hier fehl am Platz, noch signalisiert er Freude über meine Anwesenheit oder den Wunsch, ich möge noch bleiben.
    Ich sollte gehen. Diese,
seine
Musik, bereitet
mir
Kopfschmerzen. Und die anderen Gäste interessieren mich nicht. Trotzdem bleibe ich sitzen. Was ist mit mir los? Glaube bloß nicht, die Schönheit brauche sich nicht anzustrengen, Rafał! Das Auge sieht sich leid, all deine zur Schau gestellte Nacktheit nutzt sich ab. Die Schönheit muss ein Maulwurf sein. Nur einen Haufen Dreck darf man von ihr sehen. Der Rest ist Ahnung.
    Ich staune über seine gleichbleibende Wachheit und Geistesgegenwart, über die innere Spannung und Kraft seiner Bewegungen und Gesten. Hin und wieder streift sein Blick mich, der aufmerksame Blick eines Barkeepers, der sich um das Wohlergehen seiner Gäste sorgt.
    Ja, ich glaube ihm. Er wirkt nicht wie ein unglücklicher Mensch. Dieser Mann braucht nicht die Zustimmung oder Anerkennung anderer Menschen, um mit sich und dem Leben, das er führt, im Reinen zu sein.
    Ich ziehe meine Geldbörse und bitte um die Rechnung.
    Er schaut mich fragend an. »Willst du nicht warten, bis ich Feierabend habe?« gebärdet er.
    Ich stehe da wie ein kleiner Junge, der nicht weiß, wo er hingehört. Natürlich, hier darf man sich im Unterschied zu dem Land, aus dem ich komme, durchaus unsicher und schwach zeigen. Hier ist es die Stärke, die nicht verziehen wird. Hier darf man sich betrinken und hilflos wie ein zweijähriges Kind durch die Gassen torkeln und auf die Nachsicht seiner Mitmenschen hoffen. Hier sind sie stolz auf ihre Süchte und Gebrechen, auch wenn sie in klagendem Ton darüber sprechen.
    »Spätestens um zwei mache ich den Laden zu«, gebärdet er und stellt ein kleines, bis zum Rand gefülltes Wodkaglas mit einer halben Zitronenscheibe und einen Salzstreuer vor mich hin. Er weiß, dass ich keinen Alkohol trinke. Aber ich traue ihm. Vielleicht hilft seine Medizin ja gegen diesen Schmerz, nicht da sein zu können oder zu dürfen, wo ich gerne wäre.
    Fünfzehn Jahre waren verstrichen, ehe Wildtöter wieder Gelegenheit fand, den Glimmerglas zu besuchen. Friede hatte inzwischen geherrscht, und es war am Vorabend eines neuen Krieges, als er und sein beständiger Freund Chingachgook nach den Forts eilten, um sich ihren Verbündeten anzuschließen. Ein junges Bürschchen begleitete sie; denn Wah-ta-Wah!, Chingachgooks Weib, schlummerte schon unter den Fichten der Delawaren, und die drei Überlebenden waren jetzt unzertrennlich geworden.
    Eine merkwürdige Familie hat sich Wildtöter da geschaffen, drei Freunde, zwei Väter und ihr Sohn. In all den Jahren, in denen andere Männer Familien gründen, streift er mit seinem Blutsbruder Große Schlange durch die Wälder, offenkundig ohne etwas Wesentliches in seinem Leben zu vermissen. Und an keiner Stelle der Erzählung hat der Erzähler auch nur angedeutet, bei Wildtöter könne es sich über seine Wahrheitsliebe hinaus um einen Priester oder Mönch handeln.
    Das ist sicher nur möglich in der Unordnung und Wildheit der Eroberungszeit. In der Wildnis der Wälder und in den Siedlungen der Indianer ist Wildhüter frei von den Erwartungen und Wertvorstellungen seines eigenen ›Clans‹, weißen Puritanern. Und für die Indianer zählt vor allem sein Ruhm als Krieger. Alles andere, was sie an seinem Verhalten nicht verstehen, schreiben sie wohl seiner fremden
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