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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition)
Autoren: Michael Roes
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spüre. Ich halte meine Hände unter dem Kopf verschränkt. Von mir wird keine Initiative ausgehen. Ich werde niemanden berühren, die Nähe nicht suchen, aber auch von niemandem abrücken. Fühle mich wie eine leere Hülle, inwendig ausgeschabt, leer und wund.
    Eine Hand streicht mir sanft über die Brust, fährt in langsamen, ruhigen Bewegungen immer tiefer hinab, zu den Hüften, zum Nabel, zur Scham, und wieder hinauf bis zu den Brustwarzen, fast so wie in dem Traum von heute Morgen, doch ohne ein vergleichbares Gefühl von Panik, Ohnmacht und Erregung.
    Ich lasse sie gewähren, eine schmale, zarte Hand mit kurzen, rundgefeilten Fingernägeln und einem hin und wieder aufblitzenden schmalen Goldring am Ringfinger. Nun nimmt sie meine Hand und legt sie sich auf die Brust. Meine Hand weiß sofort, es ist keine junge Brust. Aber das ist ihr vollkommen gleichgültig. Sie fühlt sich weich und nachgiebig an. Die Haut ist zart und an der Brustspitze ein wenig runzelig. Die Hände sehen anders als die Augen. Was sich schön anfühlt, muss nicht auch schön aussehen. Und umgekehrt. Die Hände finden Wärme, Weichheit, Nachgiebigkeit, den Rest ergänzt die Phantasie.
    Ich verliere das Gefühl für die Zeit. Mag sein, dass ich zwischendurch kurz einschlafe. Keine unsanfte Geste reißt mich aus diesem Zustand des Dahintreibens. Ich liege nun auf der Seite. An meinen Rücken schmiegt sich ein anderer Körper, auch er weich, ja füllig, ein lappiger Arm umschlingt mich, drei Hände spielen nun mit meiner Bauchseite. Alle Gesten bleiben zwanglos, geschwisterlich, sie tasten sich voran und zurück mit der Trägheit und Unschuld des Halbschlafs, entspannen mehr, als sie erregen.
    Ist es nicht genauso wie in den dunklen steinzeitlichen Höhlen, sobald das Feuer niedergebrannt ist? Die Sippenmitglieder drängen sich unterschiedslos aneinander, wärmen und besänftigen sich, lassen den Körpern ihr Eigenleben, lassen geschehen, während der Geist sich beruhigt, sich entfernt und für einen zeitlosen Moment alle Ängste vergisst. Ist es nicht genau das, was wir mit dem Verlassen der Höhle verloren haben?
    Obwohl ich selbst gar nichts tue außer zuzulassen und anzunehmen, gebe ich vielleicht ja doch etwas zurück. Ich kann mir den zukünftigen alten Mann gar nicht vorstellen, der ich selbst ja schon bald sein werde, wenn keine gnädige Tragödie mir rechtzeitig dieses Schicksal erspart. Doch ist mir dadurch der Mann, der ich jetzt bin, deshalb noch in keiner Weise näher. Auch er ist bereits jemand, den ich mir nie vorstellen konnte. – Womöglich wissen die Hände, meine und die der anderen, inzwischen ja mehr von uns als jedes Auge.
    Als ich den ›Privatclub‹ verlasse, ist es bereits Nacht. Das Handtuch habe ich auf der speckigen Matratze im Ruheraum liegen gelassen. Nun ekelt mich bereits die Vorstellung, diesen verschwitzten Lumpen, und sei es versteckt in einer Plastiktüte, weiter mit mir herumzutragen.
    Fast ist der Besuch bei Rafałs Mutter in Zwierzyniec schon wieder vergessen. Weder habe ich alle Bars in Kazimierz nach Rafał abgesucht, noch mich in Łobzów herumgetrieben, um ihm zufälligerweise auf seinem Weg zum Supermarkt oder zur Bushaltestelle zu begegnen. Aber da ich nun schon mal in Kazimierz bin und nichts weiter zu tun habe, kann ich mein Glück ja mal versuchen. Es gibt zwar ständig neue Bars in Kazimierz, aber es ist ein kleines, überschaubares Viertel, das man in weniger als zwanzig Minuten zu Fuß durchqueren kann.
    Kein versteckter Eingang in einer dunklen Toreinfahrt, keine verschlossene Tür mit einem Spion, keine Kamera am Türsturz oder ein breitschultriger Türsteher darunter, ich kann einfach eintreten ins CAMP und bin mir sicher, ohne einen besonderen Grund dafür nennen zu können, dass es sich um Rafałs Arbeitsplatz handelt.
    Ich setze mich an einen Tisch nahe am Ausgang. Zu dieser frühen Stunde befinden sich nur zwei weitere Gäste in dieser kleinen Bar. Der Barmann ist mit dem Polieren seiner Cocktailgläser beschäftigt und macht keinerlei Anstalten, zu mir herüberzukommen und meine Bestellung aufzunehmen. Ja, er scheint meine Ankunft nicht einmal wahrgenommen zu haben.
    Camp
scheint mir für diesen Ort nicht der richtige Name zu sein.
Dark
oder
Black
wäre da schon treffender, denn alles hier ist schwarz, Wände und Decke, Stühle und Tische, die Barhocker und die Theke, Hemd und Hose des Barkeepers. Farbe bringen nur einige Deckenstrahler in dieses Dunkel, doch Farben, die sich niemand
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