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Die Kunst, nicht abzustumpfen

Die Kunst, nicht abzustumpfen

Titel: Die Kunst, nicht abzustumpfen
Autoren: Stephan Marks
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Nationalsozialismus). Insofern ist Hoffnung ein »Möglichkeitsraum«, in dem Neues geschehen kann.
    Das Wort »neu« wurde in den vergangenen Jahrzehnten wie kaum ein anderes inflationiert und banalisiert: »Das neue Persil«, »die neue Colgate«, »der neue Golf« … in aller Regel verbirgt sich hinter solchen Formulierungen Altes, das nur geringfügig modifiziert wurde. Im Unterschied dazu verwende ich hier das Wort »neu« im Sinne einer grundlegenden, qualitativen Veränderung, wie sie durch Begriffe wie Transformation oder Metamorphose (z. B. einer Raupe in einen Schmetterling) bezeichnet wird. Oder als Metanoia; dieser theologische Begriff meint eine Wandlung (wie z. B. die von Saulus zum Paulus). Es geht um Neues, das diesen Namen wirklich verdient und nicht einfach nur die Verlängerung des Alten ist.
    Viel zu lange wurde die Hoffnung, so Martin Seligman (1990, 48), denjenigen Priestern, Politikern und Profitmachern
überlassen, die sie missbrauchen. Höchste Zeit, sie aus der abgehobenen »Sphäre« der abstrakten und missbrauchbaren Ideen sozusagen herunterzuholen und tauglich für den Alltag zu machen. Mit diesem Buch möchte ich zu dem beitragen, was Ernst Bloch (1985, 1), der große Philosoph der Hoffnung, als grundlegende Aufgabe unserer Zeit bezeichnete: »Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern.«

Teil I
Hoffnung schöpfen

    schöpfen (Verb), Wortbedeutung:
löffeln, schaufeln; mit einem Gefäß (Kelle, Eimer, hohle Hand) Gegenstände oder einen kleinen Teil der Flüssigkeit aus einer größeren Menge der Flüssigkeit herausnehmen, entnehmen (z. B. Wasser aus einem Brunnen, Bach, Kessel, einer Quelle oder Wanne). Redensart: »Aus dem Vollen schöpfen«.
schaffen, erzeugen, anfertigen, entwerfen, entwickeln, erstellen, gestalten, hervorbringen, kreieren, produzieren, realisieren, erschaffen (die Schöpfung, der Schöpfer). Geschöpft werden z. B. Ideen, Inspirationen, Fantasien, Einfälle, (neue) Hoffnung, Verdacht oder Argwohn, (neuer) Atem, frischer Mut, Trost, neue Kraft.
    Vgl. erschöpfen (Verb): aufzehren, gründlich bereden, zerpflücken, ermüden, auslaugen, ermatten, kraftlos werden, abnutzen, abmagern, zermürben, sich abschinden, aufreiben, auslaugen, ausbeuten, quälen, überfordern, entkräften, leer machen, müde werden, abbauen, schwächen, sich beschäftigen, völlig aufbrauchen, verschleißen.

1. Optimismus – Pessimismus – Hoffnung
    Ich weigere mich, ohne Hoffnung zu sein.
    Nadine Gordimer
     
    Der Frühstückstisch ist gedeckt mit Butter, Käse, Wurst, Marmelade und frischen Brötchen. Neben der Teekanne liegt die Tageszeitung. Auf dem Titelbild blicken mich die verzweifelten Augen eines ausgemergelten afrikanischen Kindes an. Wie kann ich es mir schmecken lassen, während dieses Kind an meinem Tisch sitzt? Was tun? Soll ich die Zeitung umdrehen und mir einreden, ich wüsste nicht, dass heute Menschen hungern? Soll ich mir einreden, ich wüsste nicht, dass mein Wohlstand hier, in der selbsternannten »Ersten Welt«, auf der Armut in der »Dritten« beruht? Aber wenn ich dies tue: Was für ein Mensch bin ich dann?
    Tag für Tag werden wir durch Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehen, Rundfunk, Internet und andere Medien mit einer Fülle alarmierender Nachrichten aus aller Welt geradezu bombardiert: mit Informationen über Hunger, Kriege, Umweltzerstörung und drohende Klimakatastrophe, Armut, Flüchtlingstragödien, Wirtschafts- und Finanzkrisen, Terrorismus, Kindsmissbrauch, Folter und vielem mehr – vermischt mit Meldungen über politische Skandale, Sportereignisse, Prominente, Wetter, Kultur, Lokalereignisse, Werbung usw.
    Viele Menschen blenden die Fülle von Negativmeldungen mehr oder weniger aus. Diese Haltung ist in gewisser Weise verständlich: Wie sonst wären die Horror-Meldungen zu ertragen? Wie wäre der Alltag noch zu bewältigen, wenn man all dieses Leid an sich heranlassen würde? Bestünde nicht die Gefahr, vom Elend überwältigt und gelähmt zu werden?
    Diese Gefahr besteht in der Tat. Gerade bei Menschen, die sich für das Geschehen in der Welt interessieren, habe ich dies häufig beobachtet. Sie sind zwar umfassend informiert über
die vergangenen, gegenwärtigen und drohenden Katastrophen in allen Teilen der Erde – und zugleich haben sie eine bleierne Schwere an sich. Es ist, als ob sie von den Negativmeldungen wie paralysiert und bitter geworden sind. Wie Dorothee Sölle
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