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Die Kundschafter

Die Kundschafter

Titel: Die Kundschafter
Autoren: Hans Kneifel
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jungen Mädchen und seinem Ziehvater stand auf dem Tisch eine winzige Öllampe. Aus dem Inneren der Mühle ertönten die gewohnten schnarrenden und rasselnden Geräusche der Räder und Gestalten.
    »Es ist irgendein Tier, Vercin!« rief Lorana. »Nicht das Horn!«
    »Es ist das Horn!« beharrte er. »Es ist das letzte Signal.«
    »Ziehvater!« rief Lorana. »Nein! Es ist nicht das Horn. Ich habe es deutlich gehört. Es muss ein Tier gewesen sein. Vielleicht schreit es noch einmal. Hör genau hin.«
    »Ich warte.«
    Vercin setzte sich wieder. Seine blinden Augen irrten durch den Raum. Er tastete nach der Hand des Mädchens und murmelte undeutliche Worte. Dann, ganz plötzlich, sagte er hart: »Du hast recht, Lorana. Es war doch nicht das Horn. Hast du in den Ställen nachgesehen? Ist das Einhorn noch da?«
    »Ich habe es gefüttert. Es ist ruhig.«
    »Und Bitterwolf Hark? Schneefalke Horus?«
    Das Mädchen antwortete: »Ich habe den Schneefalken am Nachmittag gesehen. Und einige Male hat der Bitterwolf im Uferwald geheult.«
    »Gut, gut. Meinst du, dass wir ruhig schlafen können? Ich spüre, dass sich etwas auf dem Fluss abspielt. Düstere, böse Dinge!«
    »Nicht mehr in dieser Nacht, Ziehvater Vercin«, sagte das Mädchen eindringlich. »Du magst ruhig schlafen.«
    Unverändert strömte das Wasser des namenlosen Baches und der Lorana. Die mächtigen Räder drehten sich und bewegten die kämpfenden, einander umschwirrenden Rätselgestalten. Hunderte von hölzernen Zähnen griffen ineinander, die Lager knirschten, und der alte Mann wusste, dass erst nach dem Zerfall seiner alptraumhaften Mechanismen die Lichtwelt zugrunde gehen würde.
    *
    Es mochte eine Stunde nach Mitternacht sein oder vielleicht auch zwei Stunden. Die Schritte der vier Wanderer wurden langsamer; die Kundschafter im toten Land waren müde geworden. Immer wieder stolperten sie und schlugen sich Arme und Knie an Steinen und Ästen wund.
    »Entweder fange ich zu träumen an«, sagte Mythor, als sie sich einen Weg durch dürres Gebüsch gebahnt hatten, »oder dort vorn ist Licht.«
    Gapolo, Buruna und Lamir schoben sich zwischen den zurückschnellenden Zweigen durch und blieben schwer atmend neben Mythor stehen.
    »Tatsächlich. Licht und Flammen. Es sieht wie ein Feuer hinter einer Mauer oder einem Felsen aus!« gab Gapolo zurück.
    »Ein Lager der Caer?« murmelte Lamir und gähnte.
    »Wenn es ein Caer-Lager ist«, meinte Buruna, »dann werden die Soldaten vor uns und der ansteckenden gelben Pest ebenso davonrennen wie die anderen. Vielleicht lassen sie uns dabei etwas von dem Braten zurück, der sich über der Glut dreht.«
    Mythor schob das leuchtende Schwert Alton wieder unter seinen Mantel und sagte sarkastisch: »Darauf würde ich nicht hoffen. Aber es ist durchaus denkbar, dass wir dort etwas Essbares finden. Wenn es zu viele sind, können wir noch immer flüchten!« Er ging weiter auf die Lichtung hinaus.
    Nach einer endlos erscheinenden Reihe von Schritten sahen sie deutlicher, was vor ihnen lag.
    Sie hatten teilweise bearbeitete Felder und frisch gepflügte Äcker durchquert. An ihren Stiefeln hingen dicke Klumpen aus Lehm und Erde. Einige Grenzpfähle waren aufgebraucht, in den Furchen steckten seltsam verloren Ackergeräte.
    Aus der Finsternis schälte sich der Umriss eines kleineren Bauernhauses. Zwischen dem Haus und einer niedrigen Scheune mit geducktem Dach brannte das Feuer. Drei oder vier Gestalten bewegten sich vor und hinter den Flammen.
    »Ich sehe drei Pferde ohne Sättel!« flüsterte Gapolo, während sie versuchten, näher heranzukommen.
    »Wagen wir es?«
    »Ich meine, wir sollten es riskieren!« knurrte Mythor. Sie zogen sich die Kapuzen über die Köpfe und schlossen die Mäntel. In ihre Hände nahmen sie die Stricke und die Peitschen. Lamir griff ein paar leise Akkorde, und je näher die vier Pilger an den Bauernhof herankamen, desto lauter stöhnten und summten sie. Die Täuschung schien zu glücken. Auf diese Weise entstand der Eindruck, dass sie aus größerer Entfernung kämen. Immer wieder hielten sie an und starrten unter den Rändern der Kapuzen hervor auf die Männer am Feuer. Helme, Rüstungen und Bewaffnung schienen darauf hinzudeuten, dass es sich um Caer handelte.
    Schließlich kamen die Kundschafter, sich sehr vorsichtig geißelnd, aber um so lauter stöhnend, in den Bereich des roten, flackernden Lichtes.
    Drei Soldaten waren aufgestanden und schauten ihnen mit den Fäusten an den Schwertgriffen schweigend
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