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Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Titel: Die Kultur der Reparatur (German Edition)
Autoren: Wolfgang M. Heckl
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Dynamit, keine Motoren, keine Förderbänder, keine Vortriebsmaschinen. Alles musste in Schwerstarbeit von Hand erledigt werden. Das wünscht sich niemand mehr, und die Erfindung der Dampfkraft und später des Explosionsmotors, des Elektromotors, der Arbeitskraftmaschinen, die Erkenntnisse der theoretischen Physik der Wärmekraftmaschinen, des Carnot´schen Kreisprozesses und des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik waren ein Segen. Damit aber ging wohl eher schleichend als bewusst ein Verlust der absoluten Notwendigkeit für eine Kultur der Reparatur einher.
    Im 19. Jahrhundert, in der aufkommenden Phase der Industrialisierung, wurde es zunehmend einfacher, mithilfe der neuesten technischen Errungenschaften die kostbaren Bodenschätze, die Rohstoffe dieser Erde auszubeuten. Doch auch wenn die Ressourcengewinnung technisch effizienter wurde, hieß das nicht, dass Rohstoffe billig waren. Sie blieben weiterhin teuer, bei Gütern zählte noch immer ihre Langlebigkeit. Während der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert herrschten vielfach Mangelsituationen, die der Einschränkung des Waren- und Güteraustausches geschuldet waren. Zeitgleich wurden entscheidende Erfindungen gemacht, so zum Beispiel in England die des Polyethylen 1933. Damit waren die Kunststoffe geboren, eine Werkstoffklasse, die es zuvor in der Form nicht gegeben hatte, weil die organische Chemie mit ihren Polymeren noch nicht ihren Siegeszug angetreten hatte. (Vorläufer des Plastiks war das Bakelit, entwickelt auf der Basis von Phenolharz, damit hatte man sich bislang beholfen. Als leidenschaftlicher Sammler rettete ich vor kurzem einen Diaprojektor vor der Verschrottung – nicht weil ich ihn unbedingt gebraucht hätte, sondern weil er aus dem industriegeschichtlich bedeutenden Material Bakelit hergestellt war.)
    Ähnliche Motive für die sparsame Verwendung und eine selbstverständliche Reparaturkultur gab es bei uns im Land noch in den fünfziger Jahren. Die Ressourcenknappheit steckte den Nachkriegsdeutschen sozusagen noch in den Knochen. Schrott war so wertvoll wie nie zuvor, er wurde gesammelt, neues Metall konnte mangels Fabrikationsanlagen zunächst nicht ausreichend produziert werden. Das wiederum führte zu Reparaturen, zu Lebensdauerverlängerungsmaßnahmen, und wenn wir die Generation von damals befragen, ist es erstaunlich, welche Geschichten sie über ihre Reparaturtricks erzählen können.
    Ressourcenknappheit hat auf dieser Erde immer schon bestanden, ob aus Mangel an natürlichen Ressourcen oder den technischen Möglichkeiten zu ihrer Beschaffung: Wir müssen die Zeit, in der wir in den westlichen Industriestaaten verschwenderisch mit unseren Rohstoffen umgegangen sind – eine erdgeschichtlich extrem kurze Zeit, vielleicht von den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts bis heute –, hinter uns lassen. Wir müssen wieder reparieren lernen, nicht nur weil wir dann achtsamer mit den Dingen umgehen, sondern weil es sich für unseren Erdball „rechnet“. „Eine Reparatur lohnt sich nicht!“ ist ein leicht zu widerlegendes Argument. In der ökonomischen Analyse mag es noch stimmen, denn betriebswirtschaftlich kann es unter Umständen keinen Sinn ergeben, Dinge zu reparieren, da man eine neue Lampe nahezu günstiger bekommt als eine bestimmte Glühbirne. Einzelteile sind betriebswirtschaftlich kein rentables Geschäft. Volkswirtschaftlich betrachtet, ich wiederhole das bewusst, gilt dies aber nicht. Vor zwei Jahren habe ich einen Röhrenfernseher repariert. Betriebswirtschaftlich wäre es besser gewesen, wenn ich einen neuen LED-Fernseher gekauft hätte, volkswirtschaftlich ist es aber unser Untergang, wenn wir nicht mehr reparieren und recyceln. Falls wir nicht in absehbarer Zukunft Materialien auf dem Mars oder Mond abbauen, was bis auf Weiteres höchst unwahrscheinlich ist, werden die Kosten für Rohstoffe bald explodieren.
    Eisen- und Kupferdiebe, die mitten in Deutschland Eisenbahnschienen klauen oder Regenrinnen, das könnten schon erste (skurrile) Anzeichen dafür sein, dass wir zu einer Recyclinggesellschaft zurückkehren. Vor dreißig Jahren hätten wir kein Eisen geklaut, weil neues Eisen billiger war. Jetzt, wo Energie immer teurer wird, kehrt sich der Trend um.
    Wir sollten die Reparatur bei allen Produkten möglichst lang ermöglichen, denn das auf das Reparieren folgende Recycling ist ebenfalls nicht umsonst zu haben. Auch stehen geeignete Verfahren für viele Produkte und Materialen erst am Anfang der Entwicklung. Und
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