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Die Königliche (German Edition)

Die Königliche (German Edition)

Titel: Die Königliche (German Edition)
Autoren: Kristin Cashore
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seiner Augenklappe verbirgt: Wenn er spricht, benebeln seine Worte den Verstand der Menschen und sie glauben alles, was er sagt. Normalerweise lügt er. Deshalb sind jetzt, wo ich hier sitze, die Zahlen klar, aber andere Dinge in meinem Verstand sind durcheinander. Vater hat gerade gelogen.
    Jetzt verstehe ich, warum ich allein in diesem Zimmer bin. Vater hat Mama und Thiel mit nach unten in seine Räume genommen und tut Thiel etwas Schreckliches an, damit er lernt zu gehorchen und nicht noch mal mit Nachrichten zu Vater kommt, die ihn wütend machen. Was dieses Schreckliche ist, weiß ich nicht. Vater zeigt mir nie, was er tut, und Mama behält nie genug in Erinnerung, um es mir erzählen zu können. Sie hat mir verboten, Vater jemals nach unten zu folgen. Sie sagt, wenn mir der Gedanke kommt, Vater die Treppe hinunter zu folgen, muss ich diesen Gedanken wegschieben und weiter rechnen. Sie sagt, wenn ich nicht auf sie höre, schickt sie mich nach Lienid.
    Ich versuche es. Ich versuche es wirklich. Aber es gelingt mir nicht, mir vorzustellen, ich wäre mit den Zahlen allein in einem leeren Raum, und plötzlich schreie ich.
    Dann bemerke ich, dass ich Vaters Papiere ins Feuer werfe. Ich renne zurück zum Schreibtisch, nehme einen Packen davon hoch, stolpere über den Teppich, werfe die Blätter in die Flammen und schreie, während ich zusehe, wie Vaters eigenartige schöne Schrift verschwindet. Ich schreie sie aus der Welt. Ich stolpere über Mamas Stickerei, ihre Leintücher mit den fröhlichen kleinen Reihen aus gestickten Sternen, Monden, Burgen; fröhliche bunte Blumen, Schlüssel und Kerzen. Ich hasse die Stickerei. Es ist die Lüge eines Glücks, von dem Vater sie überzeugt. Ich zerre die Laken zum Feuer.
    Als Vater durch die Geheimtür platzt, stehe ich immer noch da und schreie aus vollem Hals. Die Luft ist verpestet, angefüllt vom stinkenden Rauch der Seide. Ein Stück Teppich brennt. Vater tritt die Flammen aus. Er packt mich an den Schultern und schüttelt mich so fest, dass ich mir auf die Zunge beiße. »Bitterblue«, sagt er geradezu verängstigt, »bist du verrückt geworden? Du könntest hier drin ersticken!«
    »Ich hasse dich!«, brülle ich ihm direkt ins Gesicht. Da tut er etwas Eigenartiges: Sein einziges Auge leuchtet auf und er fängt an zu lachen.
    »Du hasst mich nicht. Du liebst mich und ich liebe dich.«
    »Ich hasse dich«, erwidere ich, aber jetzt zweifle ich daran, ich bin verwirrt. Seine Arme ziehen mich an sich.
    »Du liebst mich«, sagt er. »Du bist mein wunderbarer, starker Liebling und eines Tages wirst du Königin sein. Wärst du nicht gern Königin?«
    Ich umarme Vater, der vor mir in einem verrauchten Zimmer auf dem Boden kniet, so groß, so tröstlich. Vater ist warm und es ist schön, ihn zu umarmen, obwohl sein Hemd komisch riecht, nach irgendetwas Süßlichem, Verdorbenem. »Königin von ganz Monsea?«, frage ich voller Erstaunen. Die Worte füllen meinen ganzen Mund aus. Meine Zunge schmerzt. Ich kann mich nicht erinnern, warum.
    »Eines Tages wirst du Königin sein«, sagt Vater. »Ich bringe dir alles Wichtige bei, damit du gut vorbereitet bist. Du musst hart arbeiten, Bitterblue. Du hast nicht dieselben Vorteile wie ich. Aber ich werde dich formen, ja?«
    »Ja, Vater.«
    »Und du musst mir immer gehorchen. Wenn du noch einmal meine Papiere vernichtest, Bitterblue, schneide ich deiner Mutter einen Finger ab.«
    Das verwirrt mich. »Was? Vater! Das darfst du nicht!«
    »Und wenn es danach noch mal vorkommt«, sagt Vater, »gebe ich dir das Messer und du schneidest ihr einen Finger ab.«
    Ich falle erneut. Allein im Himmel mit den Worten, die Vater gerade gesagt hat; das Verständnis trifft mich mit voller Wucht. »Nein«, sage ich bestimmt. »Dazu könntest du mich nicht bringen.«
    »Ich glaube, du weißt, dass ich das könnte«, sagt er, fasst mich an den Oberarmen und hält mich dicht vor sich. »Du bist meine starke Tochter und ich glaube, du weißt genau, wozu ich im Stande bin. Sollen wir uns was versprechen, Liebling? Sollen wir uns versprechen, von jetzt an immer ehrlich zueinander zu sein? Ich werde dich zu einer strahlenden Königin machen.«
    »Du kannst mich nicht dazu bringen, Mama wehzutun«, sage ich.
    Vater hebt eine Hand und schlägt mir ins Gesicht. Ich kann nichts sehen, keuche und würde hinfallen, wenn er mich nicht festhielte. »Ich kann jeden dazu bringen, zu tun, was immer ich will«, sagt er ganz ruhig.
    »Du kannst mich nicht dazu bringen, Mama
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