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Die Königliche (German Edition)

Die Königliche (German Edition)

Titel: Die Königliche (German Edition)
Autoren: Kristin Cashore
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gehört hatte. Sie war fünf oder sechs gewesen und hatte auf seinem Schoß gesessen.
    Leck, der Tiere quälte. Leck, der kleine Mädchen und Hunderte anderer Menschen verschwinden ließ. Leck, der von mir besessen war und mich durch die ganze Welt jagte.
    Warum presse ich mein Gesicht an dieses Fenster, obwohl ich weiß, dass ich zu benommen bin, um etwas zu erkennen? Was genau versuche ich zu sehen?
    An jenem Abend betrat sie das Vorzimmer zu ihren Räumen und wandte sich nach rechts in ihr Wohnzimmer, wo Helda auf dem Sofa saß und strickte. Die Dienerin Fox putzte die Fenster.
    Helda, Bitterblues Haushälterin, Zofe und oberste Spionin, zog zwei Briefe aus der Tasche und reichte sie Bitterblue. »Hier, meine Liebe. Ich lasse das Abendessen kommen«, sagte sie, während sie schwerfällig aufstand, sich über das weiße Haar strich und das Zimmer verließ.
    »Oh!« Bitterblue wurde rot vor Freude. »Gleich zwei Briefe.« Sie brach die schlichten Siegel auf und warf einen Blick hinein. Beide Briefe waren verschlüsselt und in Handschriften verfasst, die sie augenblicklich erkannte: Das unordentliche Gekritzel stammte von Lady Katsa von den Middluns, die sorgfältigen, kräftigen Zeichen von Prinz Bo von Lienid, Skyes jüngerem Bruder und neben diesem einer der beiden ledigen Söhne Rors, die einen fürchterlichen Ehemann für Bitterblue abgeben würden. Wahrhaft komisch und fürchterlich.
    Sie kauerte sich in eine Ecke des Sofas und las zunächst Bos Brief. Bo hatte vor acht Jahren sein Augenlicht verloren. Er konnte keine Wörter auf Papier lesen, denn obwohl der Teil seiner Gabe, der ihm ermöglichte, die körperliche Welt um ihn herum wahrzunehmen, viele Aspekte seiner Blindheit kompensierte, hatte er Schwierigkeiten, Unterschiede auf flachen Oberflächen auszumachen, und konnte keine Farbe spüren. Er schrieb in großen Buchstaben mit einem angespitzten Stück Grafit, weil Grafit leichter zu kontrollieren war als Tinte, und er benutzte ein Lineal zur Führung, weil er nicht sehen konnte, was er schrieb. Außerdem hatte er einen kleinen Satz beweglicher Holzlettern als Erinnerungsstütze, damit er nicht mit seinen Chiffren durcheinanderkam.
    Seinem Brief zufolge war er gerade in Nander, dem Königreich im Norden, und schürte Aufruhr. Als Bitterblue zu dem anderen Brief wechselte, las sie, dass Katsa, eine unvergleichliche Kämpferin, die mit der Fähigkeit zu überleben beschenkt war, sich abwechselnd in den Königreichen Estill, Sunder und Wester aufgehalten hatte, wo sie ebenfalls zum Widerstand aufrief. Damit verbrachten diese beiden Beschenkten ihre Zeit, zusammen mit einer kleinen Gruppe aus Freunden: Sie unterstützten jeden Aufruhr – Bestechung, Nötigung, Sabotage, organisierte Rebellion –, der darauf abzielte, den üblen Machenschaften der korruptesten Könige der Welt Einhalt zu gebieten. »König Drowden von Nander hat willkürlich Adlige eingesperrt, weil er weiß, dass einige von ihnen illoyal sind, aber nicht sicher ist, welche«, schrieb Bo. »Wir werden sie aus dem Gefängnis befreien. Giddon und ich haben den Stadtbewohnern das Kämpfen beigebracht. Es wird eine Revolution geben, Biber.«
    Beide Briefe schlossen auf dieselbe Weise. Bo und Katsa hatten sich seit Monaten nicht gesehen und Bitterblue seit über einem Jahr nicht. Sie hatten beide vor, Bitterblue zu besuchen, sobald ihre Arbeit es zuließ, und so lange zu bleiben wie möglich.
    Bitterblue war so glücklich, dass sie sich eine ganze Weile auf dem Sofa zusammenrollte und ein Kissen umschlang.
    Am anderen Ende des Zimmers war es Fox gelungen, im hohen Fenster bis ganz nach oben zu klettern, indem sie sich mit Händen und Füßen am Fensterrahmen abstützte. Dort rubbelte sie energisch über ihr Spiegelbild und polierte die Scheibe, bis sie glänzte. Mit ihrem blauen geteilten Rock passte Fox zu ihrer Umgebung, denn Bitterblues Wohnzimmer war ganz in Blau gehalten, vom Teppich über die blau-goldenen Wände bis hin zur nachtblauen Decke, die mit goldenen und scharlachroten Sternen verziert war. In diesem Zimmer thronte auf einem blauen Samtkissen auch immer die Königskrone, außer wenn Bitterblue sie trug. Ein Wandbehang mit einem fantastischen himmelblauen Pferd mit grünen Augen verdeckte die Geheimtür, die einst zu Lecks Räumen darunter geführt hatte, bis die Treppe irgendwie verbarrikadiert worden war.
    Fox war eine Beschenkte mit einem blassgrauen und einem dunkelgrauen Auge und sie war auffallend hübsch, geradezu
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