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Die Königliche (German Edition)

Die Königliche (German Edition)

Titel: Die Königliche (German Edition)
Autoren: Kristin Cashore
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sinnlos und im anderen unnötig war, da der Wassermelonenzüchter nicht lesen konnte und die Steinmetzin die Grabsteine im Beet von ihrer Türschwelle aus mehr als deutlich sehen konnte. Beide hatten den Schuldigen sofort erraten, da Ivans Kapriolen nichts Neues waren. Erst einen Monat zuvor hatte er die Kuh eines Nachbarn gestohlen und sie aufs Dach eines anderen Nachbarn gehievt, wo sie jämmerlich muhte, bis jemand hinaufkletterte, um sie zu melken. Sie war gezwungen, mehrere Tage dort oben zu bleiben – die erhabenste und vermutlich rätselhafteste Kuh des gesamten Königreichs –, während die wenigen Anwohner der Straße, die lesen konnten, versuchten, Ivans verschlüsselte Erläuterungen für die Konstruktion eines Flaschenzugs zu verstehen, mit dem man sie herunterholen konnte. Ivan war Ingenieur.
    Genauer gesagt war Ivan der Ingenieur, der während Lecks Herrschaft die drei Brücken der Stadt gebaut hatte.
    Bitterblue saß den Richtern des Obersten Gerichts vor und war leicht verärgert über ihre Ratgeber, deren Aufgabe es war zu entscheiden, welche Prozesse die Zeit der Königin wert waren. Es kam ihr so vor, als würden sie sie dauernd mit den lächerlichsten Angelegenheiten des ganzen Königreichs behelligen, um sie dann in ihr Schreibzimmer zurückzuscheuchen, sobald etwas Interessantes passierte. »Das ist ja wohl eine einfache Klage wegen Störung der öffentlichen Ordnung, oder?«, sagte sie zu den vier Männern zu ihrer Linken und den vier zu ihrer Rechten, den acht Richtern, die ihr behilflich waren, wenn sie an diesem Tisch saß, und das Gerichtsverfahren selbst leiteten, wenn sie nicht anwesend war. »Wenn ja, überlasse ich das Urteil Ihnen.«
    »Knochen«, sagte Richter Quall, der rechts von ihr saß.
    »Was?«
    Richter Quall starrte Bitterblue böse an und dann die beteiligten Parteien vor ihm, die auf ihr Urteil warteten. »Jeder, der im Verlauf dieser Gerichtsverhandlung Knochen erwähnt, wird zu einer Geldbuße verurteilt«, sagte er streng. »Ich will noch nicht einmal das Wort hören. Verstanden?«
    »Lord Quall«, sagte Bitterblue und musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen, »wovon um alles in der Welt reden Sie da?«
    »Während eines Scheidungsprozesses neulich hat der Beklagte dauernd grundlos etwas von Knochen gemurmelt, als wäre er nicht ganz bei Verstand, Königin, und ich bin nicht gewillt, das erneut zu erdulden! Es war entsetzlich!«
    »Aber Sie sitzen oft Mordprozessen vor. Sie sind doch sicherlich daran gewöhnt, dass über Knochen geredet wird.«
    »Dies ist ein Prozess über Wassermelonen! Wassermelonen sind wirbellos!«, rief Quall.
    »Ja, ist gut«, sagte Bitterblue und rieb sich das Gesicht im Versuch, ihren ungläubigen Ausdruck daraus wegzuwischen. »Keine Rede von …«
    Quall zuckte zusammen.
    Knochen , beendete Bitterblue den Satz in Gedanken. Die sind alle verrückt. »Zusätzlich zum Urteilsspruch meiner Richter«, sagte sie, während sie sich erhob, um zu gehen, »soll den Analphabeten in Ivans Straße in der Nähe des Handelshafens auf Kosten der Krone das Lesen beigebracht werden. Haben Sie verstanden?«
    Ihre Worte trafen auf ein so tiefes Schweigen, dass sie erschrak; die Richter warfen ihr alarmierte Blicke zu. Bitterblue überdachte ihre Worte erneut: Den Leuten soll das Lesen beigebracht werden. Das war doch nicht so eigenartig, oder?
    »Es liegt natürlich in Ihrem Ermessen, eine solche Erklärung abzugeben, Königin«, sagte Quall. Jeder seiner Silben war anzuhören, dass sie sich lächerlich benommen hatte. Warum bitte war er so herablassend? Bitterblue wusste ganz genau, dass das in ihrem Ermessen lag, genau wie es in ihrem Ermessen lag, jeden Richter von diesem Gericht abzuberufen. Der Wassermelonenzüchter starrte sie ebenfalls mit dem Ausdruck größter Verwirrung an. Vereinzelte amüsierte Gesichter hinter ihm ließen Bitterblue die Hitze in den Kopf steigen.
    Das ist typisch für dieses Gericht: Alle anderen benehmen sich wie Verrückte und wenn ich etwas völlig Vernünftiges anordne, geben sie mir das Gefühl, als wäre ich verrückt.
    »Kümmern Sie sich darum«, sagte sie zu Quall, dann wandte sie sich um und trat die Flucht an. Als sie am hinteren Ende des Richterpodests durch die Tür trat, zwang sie ihre Schultern in eine gerade und stolze Haltung, obwohl sie sich überhaupt nicht so fühlte.
    In ihrem runden Schreibzimmer im Turm waren die Fenster geöffnet, es begann langsam zu dämmern, und Bitterblues Ratgeber waren alles
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