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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Thuillier mit Spornstößen und Anziehen der Zügel, die sie sie hart fühlen ließ. Aber dieses Übermaß von Tyrannei war unnötig; das Opfer unterwarf sich sofort. Celeste war, wie Brigitte sie richtig beurteilte, ohne Geist, ohne Kenntnisse, gewöhnt, zu Hause in aller Ruhe zu leben, und besaß einen Charakter von außergewöhnlicher Sanftmut; sie war fromm im umfassendsten Sinne dieses Wortes; sie hätte für ein Unrecht, daß sie unwissentlich ihrem Nächsten angetan hätte, die härteste Buße auf sich genommen. Vom Leben hatte sie keine Ahnung; gewöhnt, von ihrer Mutter bedient zu werden, die selber die Wirtschaft besorgte, und genötigt, sich wegen ihrer lymphatischen Konstitution, die sie bei der geringsten Arbeit ermüden ließ, nur wenig zu bewegen, war sie so recht ein Pariser Volkskind, eins von jenen selten hübschen Produkten des Elends, der übermäßigen Arbeit, der stickigen Wohnungen, ohne Bewegung in freier Luft und aller Bequemlichkeiten des Lebens beraubt.
    Nach ihrer Heirat war Celeste eine kleine, widerwärtig fade Blondine, dick, träge und sehr dumm. Ihre zu große und übermäßig vorspringende Stirn ähnelte der eines Wasserkopfes, das unverhältnismäßig kleine Gesicht unter dieser wachsfarbenen Kuppel lief spitz wie ein Mäuseschnäuzchen aus und ließ bei manchen Besuchern die Ansicht aufkommen, daß sie früher oder später irrsinnig werden würde. Ihre blaßblauen Augen und ihr fast starres Lächeln auf den Lippen widersprach dem nicht. An ihrem Hochzeitstage machte sie in ihrer Haltung, ihrem Aussehen und ihrem Benehmen den Eindruck einer zum Tode Verurteilten, die nur den Wunsch hat, daß alles möglichst bald zu Ende sein möchte.
    »Sie hat etwas von einem Kloß! ...« sagte Colleville zu Thuillier.
    Brigitte drang in dieses Wesen, zu dem sie den schärfsten Kontrast darstellte, wie ein Dolch ein. Sie selbst war von regelmäßiger, fehlerfreier Schönheit, die nur von den Anstrengungen schwerer, mühevoller Arbeit von klein auf und von den Entbehrungen, die sie sich im stillen auferlegte, um Ersparnisse machen zu können, zerstört worden war. Ihr frühzeitig fleckig gewordener Teint schimmerte wie Stahl. Ihre braunen Augen waren von dunklen Ringen umzogen, oder vielmehr zerdrückt; auf der Oberlippe lag wie ein Hauch ein brauner Flaum; die Lippen waren schmal und über ihrer Herrscherstirn thronten früher schwarze, jetzt wie Chinchilla schimmernde Haarflechten. Sie hielt sich gerade, wie eine schöne Blondine, und alles an ihr zeugte von harter Arbeit und gedämpftem Feuer; sie hatte, wie die Gerichtsvollzieher sagen, »die Kosten des Verfahrens« zu tragen.
    Für Brigitte war Celeste nur ein Vermögen, das man sich angeeignet hatte, eine, die als Mutter zu dienen, ein Subjekt mehr, dem sie zu befehlen hatte. Sie warf ihr sehr bald ihre »Schlappheit«, wie sie sich ausdrückte, vor, und das eifersüchtige Mädchen, das eine tätige Schwägerin zur Verzweiflung gebracht hätte, fand ein grausames Vergnügen darin, dieses schwache Wesen aus seiner Untätigkeit aufzurütteln. Celeste, die sich schämte, daß ihre Schwägerin alle Stubenarbeit und die Küche so eifrig besorgte, versuchte, ihr zu helfen; aber davon wurde sie krank; sofort war Brigitte eifrig um Frau Thuillier besorgt, pflegte sie wie eine liebe Schwester und sagte vor Thuillier zu ihr: »Du hast keine Kräfte, also darfst du nichts anfassen, Kleine! ...« Mit diesem zur Schau getragenen Troste, der Celestes Unfähigkeit noch betonte, zeigte sie, wie die Kraft ihr zärtliches Mitleid mit der Schwäche dazu benutzt, um sich selber zu rühmen.
    Und weil despotische Naturen, die ihre Kräfte gern zeigen, voll zarten Empfindens gegen körperlich Leidende sind, so pflegte sie ihre Schwägerin so gut, daß Celestes Mutter, wenn sie ihre Tochter besuchte, zufrieden war. Als Frau Thuillier aber wiederhergestellt war, nannte sie sie wieder, und zwar so, daß sie es hören mußte, »krankes Gewächs, zu nichts zu gebrauchen usw.« Dann ging Celeste weinend in ihr Zimmer, und wenn Thuillier sie in Tränen überraschte, entschuldigte er seine Schwester, indem er sagte:
    »Sie ist ein vortrefflicher Mensch, aber sie ist zu lebhaft; sie liebt dich auf ihre Art; mit mir macht sie es ebenso.«
    Celeste, die daran dachte, wie mütterlich ihre Schwägerin für sie gesorgt hatte, verzieh ihr. Ihren Bruder behandelte Brigitte übrigens als Herrn des Hauses: sie rühmte ihn vor Celeste und machte aus ihm einen Autokraten, einen
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