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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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ungewöhnliche Zuneigung zueinander. Wenn Jérôme, der damals auf der Höhe seiner Erfolge stand, in Geldverlegenheit war, so hatte seine Schwester, die grobe Wolle trug und von dem starken Faden, mit dem sie nähte, zerarbeitete Finger hatte, immer einige Louisdor für ihren Bruder übrig. In Brigittes Augen war Jérôme der schönste und reizendste Mann des französischen Kaiserreichs. Diesem geliebten Bruder die Wirtschaft zu führen, in seine Lindor- und Don Juan-Geheimnisse eingeweiht zu werden, seine Dienerin, sein Pudel zu sein, das war der Traum Brigittes; sie war beinahe verliebt in den Gedanken, sich für ihr Idol aufopfern zu können, dessen Egoismus durch ihre Opfer noch vergrößert wurde. Sie verkaufte ihre Kundschaft für fünfzehntausend Franken an ihre erste Arbeiterin und bezog mit Thuillier eine Wohnung in der Rue d'Argenteuil, wo sie sich zur Mutter, Beschützerin und Dienerin dieses »verhätschelten Lieblings der Damen« machte. Mit der bei einem Mädchen, das alles seiner Umsicht und seiner Arbeit verdankte, selbstverständlichen Klugheit, verheimlichte sie ihrem Bruder ihr Vermögen; sie mußte fürchten, daß ein Mann, der sich für wohlhabend halten dürfte, es bald vergeudet haben würde, und trug nur sechshundert Franken zu den Wirtschaftsausgaben bei, was mit Jérômes achtzehnhundert Franken zusammen für den Jahresverbrauch hinreichte.
    Vom ersten Tage ihres Zusammenlebens an hörte Thuillier auf seine Schwester wie auf ein Orakel, fragte sie bei den geringsten Anlässen um Rat, hatte kein Geheimnis vor ihr und ließ sie so das Bewußtsein ihrer Machtvollkommenheit, ihrer einzigen kleinen Charakterschwäche, auskosten. Die Schwester hatte ja auch dem Bruder alles geopfert und alle seine Wünsche zu den ihrigen gemacht; sie lebte ja nur für ihn. Der Einfluß Brigittes auf Jérôme verstärkte sich noch ganz erheblich durch seine Heirat, die sie gegen das Jahr 1814 zustande brachte.
    Als sie sah, welchen heftigen Druck die neuen Männer der Restauration auf die Ämter ausübten, und besonders wie die frühere Gesellschaft die Bürgerlichen zurückdrängte, begriff Brigitte, und zwar um so deutlicher, als ihr Bruder sie darüber aufklärte, daß dieser soziale Umschwung ihre gemeinsamen Hoffnungen vernichtete. Für den schönen Thuillier war von dem Adel, der jetzt die bürgerlichen Kreise der Kaiserzeit von ihrem Platze verdrängte, nichts mehr zu erwarten!
    Thuillier war nicht imstande, sich eine politische Meinung zu bilden, aber er empfand, ebensosehr wie seine Schwester, daß er das, was ihm noch von Jugend verblieben war, benutzen müsse, um einen entscheidenden Schritt zu tun. In einer solchen Situation mußte ein auf ihre Stellung so eifersüchtiges Mädchen wie Brigitte daran denken, ebensowohl ihretwegen wie seinetwegen, ihren Bruder zu verheiraten; ihn glücklich machen konnte allein sie, und eine Frau Thuillier war nur ein zwar notwendiges, aber nebensächliches Beiwerk, damit er ein oder zwei Kinder haben könnte. Wenn auch Brigitte den ihrer Willenskraft entsprechenden Geist nicht besaß, so hatte sie doch instinktiv das Bewußtsein ihrer Herrschfähigkeit; sie hatte keinerlei Unterricht genossen, aber sie ging geradeswegs auf ihr Ziel los mit der Hartnäckigkeit einer Natur, die gewohnt ist, sich durchzusetzen. Sie verstand vortrefflich zu wirtschaften, hatte den Sinn für Sparsamkeit, das Verständnis für die Erfordernisse des täglichen Lebens und die Liebe zur Arbeit. Es war ihr daher klar, daß sie Jérôme niemals in einer höheren Sphäre als der ihrigen, wo die Familien sich über ihre häuslichen Verhältnisse informieren und sich an einer schon vorhandenen Leiterin des Haushaltes stoßen könnten, zu verheiraten vermöge; deshalb suchte sie in niedrigeren Gesellschaftsschichten nach Leuten, die sie blenden konnte, und sie fand auch in der Nähe eine passende Partie.
    Der älteste Bankdiener, ein gewisser Lemprun, hatte eine einzige Tochter Celeste. Fräulein Celeste Lemprun war die dereinstige Erbin ihrer Mutter, der einzigen Tochter eines Landwirts. Das Vermögen bestand aus einigen Morgen Land in der Umgegend von Paris, die der alte Mann immer noch selbst bebaute; dann aus dem Vermögen des guten Lemprun, der zuerst bei der Firma Thélusson und der Firma Keller in Stellung gewesen, und dann zur Staatsbank bei ihrer Gründung übergetreten war. Lemprun, der damals Dienstleiter war, genoß Achtung und Ansehen bei der Direktion und bei den Kommissaren.
    Daher
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