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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Spiegel zu betrachten, sich an die Taille zu fassen, um sie hervortreten zu lassen, und die Pose eines Tänzers anzunehmen, so daß über die Zeit hinaus, wo ihm seine Vorzüge Annehmlichkeiten verschaffen konnten, der Kontrakt, den er mit seinem Beinamen »der schöne Thuillier« geschlossen hatte, verlängert wurde!
    Was im Jahre 1806 der Wahrheit entsprach, wurde im Jahre 1826 zur Lächerlichkeit. Er behielt noch einige Reste der Tracht eines Beau aus der Kaiserzeit bei, was übrigens seiner Würde eines früheren Vizechefs keinen Abbruch tat. Er trug weiterhin die weiße Krawatte mit zahlreichen Falten, in die das Kinn vergraben war, und deren beide Enden rechts und links die Passanten bedrohten, während sie von einem ziemlich zierlichen Knoten zusammengehalten wurde, der einstmals von schöner Hand geknüpft worden war. Er richtete sich ein wenig nach der Mode, trug den Hut sehr nach hinten geschoben und zog im Sommer Schuhe und feine Strümpfe an; seine langen Überröcke erinnerten an die Leviten des Kaiserreichs; er behielt auch das steife Jabot und die weiße Weste bei, spielte immer noch mit seinem Spazierstöckchen aus dem Jahre 1810 und hielt sich gebeugt. Wenn Thuillier über die Boulevards spazierte, so hätte niemand in ihm den Sohn eines Mannes vermutet, der für die Beamten des Finanzministeriums das Frühstück zubereitete und die Livree Ludwigs XVI. trug: er sah aus wie ein kaiserlicher Diplomat oder wie ein Unterpräfekt. Und Fräulein Thuillier begünstigte nicht nur ganz harmlos diese Schwäche ihres Bruders dadurch, daß sie ihn noch zu besonderer Sorgfalt für seine Person antrieb, was bei ihr nur eine Fortsetzung ihrer Anbetung war, sondern sie gewährte ihm auch alle häuslichen Freuden, indem sie in ihr Haus als Nachbarn eine Familie aufnahm, deren Existenz ein Seitenstück zu der ihrigen bildete.
    Es handelt sich um Herrn Colleville, den intimen Freund Thuilliers; bevor aber Pylades geschildert werden kann, ist es um so unerläßlicher, mit Orestes zu Ende zu kommen, als erklärt werden muß, weshalb Thuillier, der schöne Thuillier, ohne Familie war, denn von einer Familie kann man nur sprechen, wo Kinder vorhanden sind; und hier muß nun eins von den tiefen Geheimnissen ans Licht gezogen werden, die im Privatleben vergraben liegen, und von denen nur Teile sichtbar werden, wenn bei einer sonst geheimgehaltenen Situation die Bedrängnisse allzu stark geworden sind: es handelt sich um das Privatleben von Frau und Fräulein Thuillier, denn bis jetzt haben wir nur das sozusagen öffentliche Leben Jérôme Thuilliers betrachtet.
    Marie-Jeanne-Brigitte Thuillier, die vier Jahre älter war als ihr Bruder, wurde diesem vollständig aufgeopfert; es war leichter, dem einen eine Stellung zu verschaffen, als der andern eine Mitgift zu geben. Für gewisse Charaktere ist das Unglück ein Leuchtturm, der über die dunklen Tiefen des sozialen Lebens Licht verbreitet. Ihrem Bruder an Energie und Intelligenz überlegen, besaß Brigitte jenen Charakter, der sich unter den Hammerschlägen der Verfolgung zusammenpreßt, hart wird, und eine große Widerstandsfähigkeit, um nicht zu sagen Unbeugsamkeit, erlangt. Auf ihre Unabhängigkeit eifersüchtig bedacht, wollte sie nicht in der Portierloge ihr Leben fortführen, sondern sich selbst ihr Geschick gestalten.
    Vierzehn Jahre alt mietete sie sich ein Mansardenzimmer, wenige Schritte vom Finanzamt entfernt, das damals in der Rue Vivienne war, nicht weit von der Rue de la Vrillière, wo sich noch heute die Bank von Frankreich befindet. Mutig begann sie eine wenig bekannte Tätigkeit, die, dank den Protektoren ihres Vaters, ein Privileg genoß und die darin bestand, daß sie Säcke für die Bank, für die Schatzkammer und auch für große Finanzhäuser nähte. Im dritten Jahre beschäftigte sie schon zwei Arbeiterinnen. Ihre Ersparnisse ließ sie ins Staatsschuldbuch eintragen und besaß im Jahre 1814 bereits dreitausendsechshundert Franken, die sie im Verlaufe von fünfzehn Jahren beiseite gelegt hatte. Sie hatte wenig Ausgaben, aß fast alle Tage bei ihrem Vater, solange er lebte, und es ist ja bekannt, daß die Rente während der letzten Erschütterungen des Kaiserreichs nur einige Vierzig stand; so erklärt sich dieses anscheinend so außerordentliche Ergebnis von selbst.
    Nach dem Tode des alten Portiers zogen Brigitte und Jérôme, die eine siebenundzwanzig, der andere dreiundzwanzig Jahre alt, zusammen. Der Bruder und die Schwester besaßen eine ganz
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