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Die Klassefrau

Die Klassefrau

Titel: Die Klassefrau
Autoren: Martin Michelle
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und angezogen zurückkam, saß sie in Meditationshaltung auf seinem Bett und beobachtete jede seiner Bewegungen.
    »Willst du heute denn nicht aufstehen?«, fragte er.
    »Nein. Ich gehe heute nicht arbeiten«, antwortete sie leise. »Ich habe Mike schon angerufen.«
    »Mallory -«
    »Geh einfach, okay?«
    Er musterte sie, dann setzte er sich neben sie und legte seine Stirn an ihre. »Ich liebe dich, Mallory Atkinson.«
    »Ich liebe dich auch, Peter Drake«, wisperte sie und krallte die Hände im Schoß ineinander, um zu verhindern, dass sie sich an ihn klammerte
    »Ich sehe dich dann heute Abend, Liebste«, sagte er und erhob sich.
    Sie schwieg.
    »Mallory?«
    Sie zwang sich, zu ihm aufzublicken.
    »Ich komme heute Abend zurück«, sagte Peter fest.
    »Das wäre sehr schön«, flüsterte sie kaum hörbar.
    Er warf ihr ein letztes liebevolles Lächeln zu, ehe er sich auf den Weg machte.
    Mallory hörte, wie sich die Eingangstür hinter ihm schloss, und sah, wie er die Treppen hinunter zu seinem BMW ging. Dann begann sie – obwohl es ihr in Wahrheit sinnlos erschien – zu meditieren, um sich innerlich gegen Consuela Herreras Anruf zu wappnen, der ihr mitteilen würde, dass Peter tot war.
    Um kurz nach zwölf betrat Mallory die Bell Tower Mall durch den Südeingang und wurde sofort in den Strom von Menschen gezogen – Teenager, die die Schule schwänzten, Mütter mit Kinderwagen und quengelnden Kleinkindern im Schlepptau, Singles und Paare, ältere Menschen, die sich langsam mit Hilfe eines Stocks oder am Arm eines Begleiters durch die Gänge schoben. Offenbar hatte die gesamte Stadt beschlossen, heute einkaufen zu gehen.
    Als sie aufblickte, erkannte sie, dass der zweite Stock des Einkaufszentrums genauso überfüllt war. Ein steter Menschenstrom bewegte sich über den gefliesten Fußboden über ihr, einige blickten gelegentlich nach unten, doch die meisten waren mit ihren Einkäufen oder der Suche nach einem hübschen Plätzchen fürs Mittagessen beschäftigt. Es herrschte ein unglaublicher Lärm.
    Und dann sah sie ihn.
    Er musste unmittelbar nach ihr hereingekommen sein, denn während sie stehen blieb und das Geschehen betrachtete, ging er ihr an ihr vorbei, ehe er vielleicht einen Meter vor ihr wieder stehen blieb. Er war knapp einen Meter achtzig groß und hatte braunes Haar. Seine Miene war völlig ausdruckslos. Er trug einen braunen Regenmantel, der ihm bis zu den Schienbeinen reichte. Seine Hosen waren braun, ebenso seine Schuhe. Keiner der ihn einmal gesehen hatte, würde ihn wiedererkennen.
    Aber sie.
    Sie spürte, wie der Wahnsinn in ihm brodelte und seinen Verstand ganz und gar beherrschte.
    Sie beobachtete, wie er fast in Zeitlupe die Uzi unter dem Regenmantel hervorzog. In ihren Ohren begann es zu rauschen, und dann sah sie, wie er in aller Seelenruhe das Einkaufszentrum mit Kugeln durchsiebte.
    Und sie sah Peter, der vom zweiten Stockwerk aus heruntersah.
    »Peter!«, schrie sie, als die Kugeln um ihn herum einschlugen.
    » Peter! «
    Mallory wurde von ihren eigenen Schreien aus ihrer Trance gerissen. Sie saß mit verschränkten Beinen auf Peters Bett und zitterte so heftig, dass es unter ihr vibrierte.
    Sie hatte den Amokschützen gesehen.
    Und er würde Peter töten!
    Hektisch warf sie einen Blick auf die Nachttischuhr. Eine Woge der Übelkeit wallte in ihr auf. Elf Uhr siebenundvierzig.
    Peter würde um zwölf Uhr sterben.
    Sie sprang aus dem Bett, griff nach ihrer Jeans und ihrer Bluse, die auf dem Fußboden lagen, und zog sie in aller Eile über, ehe sie aus Peters Apartment und die Treppe hinunterstürzte. Auf der drittletzten Stufe stolperte sie und landete unsanft neben der Haustür. Sie hatte sich das Knie aufgeschlagen, und ihr Kopf schmerzte ein wenig vom Aufprall. Doch sie rappelte sich auf und lief weiter.
    Sie brauchte beide Hände, um den Mercedes aufzuschließen. Dann glitt sie auf den grünen Ledersitz und ließ den Motor an, noch ehe sie die Wagentür geschlossen hatte. Rückwärts schoss sie aus der schmalen Parklücke, schaltete in den ersten Gang und sauste die unbelebte Straße hinunter. Sie warf einen Blick auf die Uhr im Wagen.
    Elf Uhr neunundvierzig.
    Sie überfuhr drei Stoppschilder, ehe sie heftig auf die Bremse treten musste, um gerade noch einen Zusammenstoß mit zwei Wagen zu vermeiden, die vorschriftsmäßig an einer roten Ampel hielten.
    »Okay, okay«, sagte sie mit zittriger Stimme. »Ich brauche Hilfe. Allein schaffe ich das nicht. Ich brauche Hilfe. Okay.
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