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Die Klassefrau

Die Klassefrau

Titel: Die Klassefrau
Autoren: Martin Michelle
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nicht, welcher Tag, welche Woche, welcher Monat war. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Sein gesamtes Sein war auf Mallory konzentriert, darauf, sie mit seiner Liebe zu umhüllen, sie zu beschützen und mit aller Kraft zum Weiterleben zu zwingen. Moralische Bedenken hatte er in dem Augenblick über Bord geworfen, als er nach der dreistündigen Operation endlich an ihrem Bett saß. Die Narkose und ihre Bewusstlosigkeit hatten sämtliche Barrieren niedergerissen, so dass er mühelos in ihre Gedanken eindringen konnte. Und er tat es.
    Während der zwei Stunden, die sie auf der Intensivstation lag, redete er unaufhörlich mit ihr, obwohl die Ärzte und Krankenschwestern, die ihn umschwirrten, kein einziges Wort davon hören konnten. Bild für Bild führte er ihr ihr zukünftiges Leben vor Augen – bis ins kleinste Detail und in den schillerndsten Farben.
    Er konzentrierte sich auf ihren Körper, versicherte ihr, dass er wieder heilen und den Schaden verwinden würde, den die Kugel angerichtet hatte. Wieder und wieder beschwor er sie. Brachte ihren Körper dazu, die vielen Medikamente, die durch unzählige Kanülen an ihren Armen in sie tropften, aufzunehmen und sie wirken zu lassen.
    Als sie schließlich mit all den Kanülen und Schläuchen um sich herum von der Intensiv- auf eine normale Station verlegt wurde, ging er neben ihr und hielt beharrlich ihre Hand. Die Stationsschwester wollte zwar protestieren, aber Dr. Cartwright sah sie an: »Ich glaube, dass er ihr sehr gut tut. Glauben Sie nicht auch?«, meinte sie
    Die Schwestern akzeptierten schweigend seine Gegenwart und arbeiteten weiter.
    Eine Stunde später begann Mallory sich zu rühren, trotzdem dauerte es eine weitere halbe Stunde, bis sie die Augen aufschlug. Als es ihr schließlich gelang, sah sie Peters blasses stoppeliges Gesicht, das auf sie herablächelte.
    »Hattest du nicht gesagt, dass du nicht verletzt worden bist«, murmelte sie.
    »Bin ich auch nicht.«
    »Du siehst aber grauenhaft aus.«
    Peter lachte leise und gab ihr einen zarten Kuss. »Ich liebe dich auch.«
    Sie lächelte kaum wahrnehmbar, ehe sie wieder in Schlaf sank, und bald darauf schlief auch Peter auf dem unbequemen Holzstuhl neben ihrem Bett ein.
    Mike Gramble war in der Nacht zweimal vorbeigekommen, doch Peter hatte seine Gegenwart kaum wahrgenommen.
    Consuela schien Frühschicht zu haben. Kurz nach sechs stieß sie die Tür des Einzelzimmers auf, trat neben Peter, hob sein Kinn und musterte ihn eingehend.
    »Du siehst grauenhaft aus.«
    »Das wurde mir bereits gesagt«, lächelte Peter müde und schob ihre Hand beiseite, so dass er sich wieder zu Mallory umdrehen konnte.
    »Hier«, sagte Consuela und drückte ihm eine Tüte mit Rasierzeug in die Hand, »wasch dich und benutze gefälligst den Rasierer zu dem Zweck, für den er vorgesehen ist.«
    »Ich bleibe hier, danke. Mallory liebt mich um meiner selbst willen, nicht wegen meines guten Aussehens.«
    Consuela hielt ihm einen Spiegel vors Gesicht. »Keine Frau ist so blind.«
    Seufzend nahm er die Sachen und machte sich auf den Weg in die Waschräume.
    Als er zurückkam, hatte Consuela sich einen zweiten Stuhl herangezogen.
    »Hast du schon was gegessen?«, fragte sie, als er sich neben sie setzte und sofort wieder nach Mallorys Hand – seinem Lebensfaden – griff.
    »Ich bin nicht hungrig.«
    »Wenn du so weitermachst, bist du noch derjenige, der nicht überlebt. Es ist jetzt beinahe achtzehn Stunden her, dass sie angeschossen wurde.«
    »Ich kriege irgendwann schon wieder Hunger, wenn sie erst einmal hier raus ist und mir versprochen hat, dass sie mich heiratet.«
    »Okay, ich geb's auf … vorübergehend jedenfalls. Beim nächsten Mal bringe ich dir zwei Dutzend glasierte Doughnuts mit. Dagegen bist du wehrlos.«
    Peter drehte sich zu ihr um und lächelte sie an. »Du bist eine gute Freundin, Consuela.«
    »Und eine noch bessere Kriminalbeamtin«, gab Consuela zurück. »Kurz bevor du mein Gesicht auf den Fußboden gedrückt hast – und mir damit das Leben gerettet hast, übrigens vielen Dank dafür – habe ich gesehen, wie Mallory sich auf den Amokschützen gestürzt hat. Er ist zwar nicht zu Boden gegangen, hat aber das Gleichgewicht verloren und mehr oder weniger ins Leere geschossen. Kurz darauf hat er uns gesehen. In diesem Moment hat er geschossen … zu spät. Mallory hat eine Menge Leute davor bewahrt, erschossen zu werden, uns eingeschlossen. Natürlich hätte sie nicht dort sein dürfen. Kein vernünftiger
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