Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kinder des Saturn

Die Kinder des Saturn

Titel: Die Kinder des Saturn
Autoren: Stross Charles
Vom Netzwerk:
die Kelle sich so weit nach unten senkt, bis sie sich nur noch fünfzig Kilometer oberhalb des mittleren Bodenniveaus befindet, um mich danach mit einer halben Drehung hinaufzuzerren und der orbitalen Beschleunigung auszusetzen. Was bedeutet, dass ich einen Druck von mehreren zehn g aushalten muss. (Einer der Gründe dafür, dass Lindy mich so lückenlos ausgestopft hat. Ich werde das Polster brauchen.) »Was passiert, wenn wir in die Umlaufbahn eintreten?«, frage ich sie und versuche, nicht weiter über den Aufstieg nachzudenken.
    »Wen interessiert’s?«, erwidert sie geistesabwesend. »Telemus ist ein ganz Wilder! Bin schon ewig nicht mehr mit ihm gefahren!« Hätte sie mich nicht so sorgfältig geknebelt, würde ich jetzt mit den Zähnen knirschen. »Na ja, meine Kopiervorlage schon, aber für mich ist das alles so neu! Das ist mein erster Flug! Oh,
ich bin ja so aufgeregt!« Sie erschauert leicht; ich kann spüren, wie ein Beben den Kokon erschüttert.
    »Es geht um meine Abflugzeit«, erinnere ich sie vorsichtig. » Mich interessiert sie jedenfalls.«
    »Wir schaffen dich schon hin!« Sie kichert kurz. »Telemus wird uns so rechtzeitig absetzen, dass wir die High Wire noch erreichen. Er bringt uns die volle Strecke hinauf. Das wird ein Spaß!«
    »Und du bleibst die ganze Zeit dabei?«, frage ich und versuche, mein Entsetzen zu überspielen.
    »Ja! Sobald wir an Bord der High Wire sind, trete ich in mein zweites Nymphenstadium ein, damit du’s gemütlich hast und ich dich vor all dieser grässlichen Strahlung und den Mikrometeoriten beschützen kann!«, erwidert sie lächelnd und projiziert ein Schaubild ihrer zweiten Verkörperung: Es ist ein Gebilde mit stummelartigen Solarschwingen, einem Wärmetauscher und einem verspiegelten Sonnensegel. Dieses reizende Ensemble baumelt vom Galgen des großen Raumschiffs High Wire oder irgendeines Schwesternschiffs herunter. »Wir werden viel Zeit haben, einander kennenzulernen! Juhu! «
    Ich suche immer noch nach einer angemessen scharfen Erwiderung, als ich einen Blick auf Telemus’ Arm erhasche, der in der erzfarbenen Himmelskuppel eine weiße Spur hinterlässt und auf uns zukommt. Und jetzt würde ich es mir am liebsten doch noch anders überlegen – aber dazu ist es bereits zu spät.

    Offensichtlich freut Lindy sich schon seit Ewigkeiten auf Sex mit Telemus, vielleicht schon ihr ganzes Leben lang, und er erwidert ihre Gefühle. Trotz des gewaltigen Beschleunigungsdrucks ficken sie heftig und schnell, wobei sein andockender Hectocotylus fest in ihrem Anschlussring einrastet. Um mich von dieser Darbietung nicht noch fesseln zu lassen, stelle ich die Kommunikation sofort auf einen Modus, bei dem ich das Stöhnen der beiden und den markerschütternden Austausch von Zärtlichkeiten ausblenden
kann. Einsam und allein, von Schleim eingehüllt und von der Zentripetalbeschleunigung niedergedrückt, liege ich in Lindys glitschigem Bauchraum, während Telemus uns in den Orbit befördert. Dabei bleibt mir viel Zeit für düstere Gedanken. Es macht mir ja nichts aus, dass mein Reisekokon ein geiles Luder ist, aber wenn ich mich auf der ganzen Strecke nicht vernünftig unterhalten kann, werde ich durchdrehen, ehe wir ankommen. Vor der Abfahrt hätte ich den Seelenfriedhof einstöpseln sollen. Zumindest hätten mich die Geister meiner verstorbenen Schwestern vor dem Ausrasten bewahrt. Aber jetzt ist es zu spät dafür. Und Lindy will ich nicht bitten, den Seelenfriedhof bei mir einzustöpseln. Manche Dinge sind dazu einfach zu persönlich.
    Schließlich ebben Dröhnen und Druck ab, und ich verbinde mich wieder mit dem offenen Kommunikationskanal. Ich bekomme gerade noch mit, wie Lindy sich tränenreich von ihrem Liebhaber verabschiedet. Als ich die Augen öffne, kann ich Telemus in all seiner Pracht sehen. Während sich seine Tentakelspitze in die Versorgungskapsel zurückzieht, bleibt er hinter uns zurück und steuert auf die unter uns liegenden perlmuttfarbenen Wolkengipfel zu. »Auf Wiedersehen!«, ruft Lindy. »Ich liebe dich!«
    »Bis zur nächsten Begegnung mit deinem Typ«, grummelt Telemus. Während wir über ihm emporsteigen und davonschweben, verhallt seine Stimme mit Dopplereffekt. Mühsam versuche ich mich bei Lindy, deren Liebe unter einem schlechten Stern steht, wieder ins Gedächtnis zu rufen. »Kannst du die High Wire schon erkennen, Lindy?«
    »Ja, dort drüben«, erwidert sie nach kurzem Zögern. Ein blinkender roter Kreis ist rings um einen kaum sichtbaren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher