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Die Kinder des Saturn

Die Kinder des Saturn

Titel: Die Kinder des Saturn
Autoren: Stross Charles
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willkommen heiße. Als Lindy die lakonische High Wire munter begrüßt und mit ihr schwatzt, wache ich kurz auf und zwinge mich dazu, wach zu bleiben, während der Haltegurt des Raumschiffs sich um Lindy legt, sie Richtung Zentrum zerrt und sie sich am Frachtträger einklinkt. Nachdem sie sich in die Einspeiseleitungen und den Stromkreis eingestöpselt hat und mit ihrer Metamorphose beginnt, schlafe ich wieder, denn es ist ein langweiliges Zwischenspiel. Diesmal unterzieht sich Lindys Gehirn beträchtlichen Wandlungen. Als wir uns unserem Bestimmungsort nähern, wache ich schließlich wieder auf.
    Auf einer elliptischen Transferbahn pendelt die High Wire ständig zwischen Merkur und Venus hin und her. Für jede Reise braucht sie ein halbes Jahr. Niemals tritt sie direkt in die planetare Umlaufbahn ein; vielmehr benutzt sie ihren starken Greifarm – ein kleiner Bruder von Telemus – dazu, eintreffende Reisende zu bergen und aufbrechende Passagiere nach draußen zu befördern. Aufgabe der Anlauf- oder Abfahrtshäfen auf den jeweiligen Planeten ist es, ein eigenes Netz von Greifarmen oder Magnetschwebebahnen zu stellen, die den Transport der Passagiere vom Planeten zum Schiff oder vom Schiff zum Planeten gewährleisten. Im Unterschied zu vielen anderen Raumschiffen, insbesondere den in den äußeren Raumregionen verkehrenden, arbeitet die High Wire völlig allein, ohne Besatzung oder Hilfskräfte. Dennoch ist sie nicht einsam, denn sie unterhält sich mit vielen Reisenden – das ist sogar fast so etwas wie ein Ritual des
Transfers. Also verbringe ich gut drei Tage damit, dem Raumschiff einen Abriss meines Lebens zu geben, während ich, umhüllt von meiner Kapsel, kopfüber von einem »Galgen« herunterbaumele und das Sonnenlicht vor mir sengend heiße Schatten wirft.
    »Also hast du deine Heimat verlassen, weil du dich von deinen Geschwistern absetzen wolltest«, grummelt die High Wire nachdenklich (und senkt dabei die Stimme, um der Würde ihrer Position gerecht zu werden). »Aber dir liegt viel an ihnen. Warum hast du das getan?«
    »Sie sind zu schnell gestorben.« Innerhalb von Lindys stillem Kokon halte ich mich am Friedhof der Erinnerungen fest. »Ich konnte den Gedanken, dass die Reihe auch bald an mir sein würde, einfach nicht ertragen.«
    »Aber subjektiv gesehen waren sie alle älter als du. Zwischen euch liegen einundsechzig Jahre.«
    »Was sind schon sechs Jahrzehnte?« Falls ich könnte, würde ich jetzt die Achseln zucken. »Selbstverständlich haben wir uns unterschiedlich entwickelt, aber wir alle hatten das gleiche Problem.« Die gähnende Leere im Zentrum unserer schlecht entworfenen Leben. »Wie kann man sich selbst lieben, wenn man niemand anderen lieben kann?«
    »Viele empfinden das gar nicht als Problem«, sinniert die High Wire . »Sie können ganz gut existieren, ohne irgendwen oder irgendetwas zu lieben, sie selbst eingeschlossen.«
    »Ja, aber darum geht es hier nicht. Du bist glücklich, weil du genau das tust, wozu du erschaffen wurdest. Doch stell dir mal vor, jemand hätte die Teleportation erfunden und würde dich über Nacht überflüssig machen. Was würdest du dann unternehmen?«
    »Ohne einen Job würde ich, glaube ich, die Sterne ansteuern, um nachzusehen, was es dort draußen gibt«, erwidert das Raumschiff wie aus der Pistole geschossen. Offenbar hat es schon eingehend über diese Frage nachgedacht …

    Aber warum sollte überhaupt irgendjemand die Erde verlassen wollen?
    Ich hab’s getan. Ein einziges Mal. Denn es gab vieles, vor dem ich davonlaufen wollte. Zu viele schlimme Erinnerungen, zu viele Geschwister, die vor mir ins Jenseits verschwanden … Ich bin eine der Letzten meiner Art, in die Welt gesetzt, als wir bereits überflüssig waren, sechzig Jahre lang in einem bestimmten Entwicklungsstadium erstarrt, so dass mein Design längst überholt ist. Während des letzten Jahrhunderts haben die Erfordernisse der Raumfahrt die Körpermode in eine Richtung gedrängt, der ich nicht mehr folgen kann. Als Gefährtin für meine Einzig Wahre Liebe geschaffen (die als Spezies ausgestorben ist), ist mein Identitätsgefühl stark an meine physische Gestalt gebunden. Ich kann mich nicht einfach zu einer kleinen, großäugigen, großköpfigen Chibi-San umgestalten, denn das würde meinem ganzen Daseinszweck und meiner attraktiven, wenn auch überholten Persönlichkeit widersprechen. Bliebe mir nicht einmal diese dürftige Lebensgrundlage, könnte ich genauso gut sterben.
    Als ich
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