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Die Kinder des Saturn

Die Kinder des Saturn

Titel: Die Kinder des Saturn
Autoren: Stross Charles
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dieser Trasse vorwärts – ein riesiges, in einzelne Abschnitte gegliedertes Ungeheuer, das zweihundert Meter breit und zwanzig Kilometer lang ist. Ihre prächtigen Kuppeln und Türme funkeln im schwindenden Sternenlicht, ihre Spitzen strecken sich nach dem gleißenden, ungebrochenen Licht des Sonnenaufgangs aus, das sie doch niemals erreichen können.
    Eingesperrt in Lindys toten Körper, gleite ich die Magnetschwebebahn entlang und tauche mit den Füßen voran in die Schatten der Stadt Cinnabar ein, bis ich auf einer Rampe lande und unterhalb des von Eis eingefassten Bogens der riesigen Ankunftshalle mit einem letzten sanften Aufprall zum Stillstand komme. »Auf Wiedersehen, Lindy«, flüstere ich, während dreigliedrige Arme aus der Dunkelheit auftauchen, nach unten schwingen, ihre Schneideklingen ausfahren und mich aus Lindys sterblicher Hülle herauslösen.
    Es dauert nicht lange, bis ich die Einreiseprozedur hinter mir habe. Den Kontrolleuren geht es vor allem um das Aufspüren von Pink Goo – in jüngster Zeit wurden zahlreiche solche Fälle auf venusianischen Flugobjekten registriert -, doch aufgrund meiner Beförderungsweise habe ich in dieser Hinsicht nichts zu befürchten. (Lindys Verpackungsschaum steckt voller verdauungsfördernder Parazyme. Hätte einer unserer Schöpfer versucht, auf diese Weise zu reisen, wäre er als völlig zerfressenes Skelett am Bestimmungsort angekommen.) »Genießen Sie Ihren Aufenthalt bei uns«, sagt der leitende Kontrolleur, der mich gefilzt hat, während ich ihm eine meiner kostbaren Geldreserven reiche. »Und versuchen Sie sich von der Schattenseite fernzuhalten, ja?«

    Schattenseite? Lächelnd nicke ich und trete durch die Ausgangstür nach draußen, wo mich Licht und Luft erwarten. Ich würde ja gern weiterverfolgen, was er damit gemeint hat, habe aber noch keinen Zugang zum örtlichen Netz. Ich mustere die Zufahrtsstraßen. Merkur ist berühmt für seinen Reichtum an Metallen. Die Anzeichen von Wohlstand können jedoch leicht in die Irre führen: Wenn die Bewohner ihre Straßen mit Gold pflastern, dann wegen der thermischen Eigenschaften des Edelmetalls und des Widerstands gegen Korrosion. Die fensterlosen Gebäude wirken abweisend und unfreundlich. Ein teilweise transparentes Dach über mir blockt das Sternenlicht ab und filtert die langen Schatten der Türme. Der Körperbau der Leute hier variiert stark, wie mir auffällt. Dennoch rage ich durch meine Übergröße wie ein Monster aus der Menge heraus, wie fast immer, wenn ich mich jenseits der Erde befinde.
    An einem der Ausgänge stoße ich auf ein öffentliches Netzterminal, hocke mich hin und führe sein Faserkabel in die leere Buchse unterhalb meines Haaransatzes ein. »Kannst du dich nicht kleiner machen?«, quengelt das Gerät. »Wenn du dich so ausstreckst, wirst du mich noch beschädigen.«
    »Ich will’s versuchen. Hast du’s jetzt bequem?«
    Dem Terminal entgeht mein scharfer Ton. »Ja, besser so. Lass mich mal sehen. Zwanzig Centimes, bitte.« Ich zücke meine Brieftasche und lehne mich zurück. Anfangs flackert mein Sichtfeld, dann stabilisiert es sich. »Jetzt brauche ich deine Zugangscodes.« Ich klappe die Brieftasche noch weiter auf und tausche über den sicheren Kanal die Codes mit dem Terminal aus. »Also gut, jetzt bist du als Person konfiguriert, Freya. Deine Mails werden an dich weitergeleitet. Du kannst unsere Verbindung jetzt lösen.«
    Erleichtert, dass ich mich mit der Nervensäge nicht noch weiter abgeben muss, stehe ich auf. »Wiedersehen«, sage ich und fahre mir mit den Fingern durchs Haar, während ich überlege, was ich als Nächstes tun soll. Neuer Planet – erste Orientierung, ich habe Erfahrung darin. Zuerst checke ich mein Gewicht. Ich
bin hier kaum merklich schwerer als auf Mars, aber viel leichter als auf Venus oder auf der Erde. Deshalb fühle ich mich schon beschwingt, ehe ich meine Fersen überhaupt auf dem Boden aufgesetzt habe. »Ein Hotel«, flüstert der Geist einer meiner Schwestern, der sich dazu meiner Lippen bedient. »Du musst dir ein Hotel suchen und eine Schwester installieren, die schon mal hier gewesen ist. Und du brauchst Tiefschlaf.«
    Sie hat Recht. Ich brauche eine Führerin, die sich hier auskennt, egal, wie lange ihr Aufenthalt in Cinnabar zurückliegen mag. Im Prinzip ist auch die Suche nach einem Hotel eine gute Idee, denn ich fühle mich wirklich beschissen. Was in Anbetracht dessen, was ich gerade hinter mir habe, auch kein Wunder ist. Ionisierende
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