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Die Karte Des Himmels

Die Karte Des Himmels

Titel: Die Karte Des Himmels
Autoren: Rachel Hore
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ganzen Raum und bewahrte ihr Geheimnis stumm für sich.
    Juli 1765
    Sie hatte darüber nachgedacht, sie zurückzulassen. Denn sie wusste, dass sie in Sicherheit sein würden. Gleich drei Ammen würden sich um sie kümmern, und sie würden auf diese engstirnige Weise aufgezogen, die für die Töchter eines englischen Earls schicklich schien. Wie die Dinge lagen, war es ihr ohnehin kaum gestattet, sich in ihrer Nähe aufzuhalten. »Für den Fall, dass es dich ermüdet, meine Liebe«, hatte ihre Schwiegermutter stets als Ausrede vorgebracht, und in der Tat, an jenen Tagen, an denen man sie zwang, die Medizin zu schlucken, war ihre Welt ohnehin auf den Kopf gestellt. Dann wünschte sie nichts anderes, als sich niederzulegen oder zu Boden zu sinken. »Hysterisch«, hatte sie einmal vernommen, als der Arzt ihren Zustand beschrieb, »das kommt bei diesen ausländischen Frauen häufig vor. Vielleicht liegt es ihnen im Blut. Man weiß es nicht.«
    »St. John hätte sie niemals heiraten dürfen«, schnaubte die Countess. »Es war ein Komplott der Eltern des Mädchens, wir ahnten nichts.«
    Hysterisch.
    Lucille spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. Welches siebzehnjährige Mädchen wäre nicht hysterisch, wenn man es aus dem Heim ihrer Kindheit risse und aus den Armen eines attraktiven jungen Liebhabers und zwangsweise mit einem vorbeireisenden Fremden verheiratete, einem Mann, der von einem Augenblick aus heißer Leidenschaft in kalte Herzlosigkeit wechseln konnte und der sie in ein fremdes Land verschleppte, wo die Landschaft grau und gesichtslos dahinrollte und die Feuchtigkeit ihr in die Knochen kroch? Zwei Kinder wurden geboren, nach grausamen Taten im Schlafzimmer, die man niemals als Liebesakte bezeichnen konnte, bevor seine Besessenheit für ihre Schönheit sich in Gleichgültigkeit verwandelte und er sich eine Geliebte nahm. Es war, als würde ein Licht aufglimmen, als ein Brief von ihrem geliebten Guillaume ankam, den ihre kleine Zofe Suzette zu ihr schmuggelte. Der Brief besagte, dass er kürzlich zu einer Erbschaft gekommen sei. Sie solle ihn im White Horse Inn in Great Yarmouth treffen, und dann würden sie gemeinsam in die Freiheit segeln.
    Sie würde gehen müssen – oder sterben.
    Aber ihre Töchter konnte sie nicht zurücklassen. Suzette würde ihr helfen, die quirlige kleine Suzette. Und das tat sie auch.
    Sorgfältig trafen sie ihre Vorbereitungen. Das schlichteste ihrer Kleider, ihre Wertsachen in einem Beutel unter ihrem Umhang, einen kleinen Koffer mit Kleidung und den wichtigsten Dingen, einen Beutel mit Essen und Trinken. Es war eine dunkle, mondlose Nacht, als sie durch das Fenster im Esszimmer ins Freie schlüpften, Suzette und sie, und durch den Park stolperten, jede mit einer Tasche in einem Arm und im anderen ein schlafendes Kind, bis zum Tor in der Mauer und der Kutsche, die Guillaume ihr geschickt hatte, um in die Nacht hinauszufahren.
    Wie hatte ihr Ehemann sie ausfindig gemacht? Das Gasthaus in Lynn, glaubte sie, wo sie anhielten, um die Pferde zu wechseln. Der Inhaber hatte sie neugierig angestarrt und seiner Frau ein paar unverständliche Worte zugemurmelt. Ja, die beiden konnten sich an ein ausländisches Mädchen mit feinen Gesichtszügen und wildem Gesichtsausdruck erinnern, an eine Zofe und zwei hübsche kleine Mädchen, mit denen sie ohne Begleitung auf Reisen war. Und sie mochten St. John auch erzählt haben, wohin die Frau aufgebrochen war. Dieser Tage trieben sich überall Spione herum. Die Steuereintreiber waren auf der Suche nach Schmugglern, das Militär brachte Straßenräuber zur Strecke. Sie drängte den Kutscher, eine weniger befahrene Straße zu nehmen.
    In Fakenham verschwand Suzette. Einfach so. Lucille hatte ihr Geld gegeben, um Schlafdecken für die Kinder zu kaufen, aber sie kam nicht zurück. Unmöglich zu sagen, ob sie fortgelaufen oder ermordet oder entführt worden war. Lucille wusste nur noch, dass sie vorwärtseilen musste, oder sie würde ihre Verabredung verpassen.
    Sie waren auf der Straße südlich von Holt, als St. John die Kutsche überholte. Seine Pistolen blitzten silbrig im Dämmerlicht. »Halt auf der Stelle an!«, schrie er den Kutscher an. »In deinem Wagen befindet sich meine Frau!« Der Kutscher war zutiefst erschrocken, die Pferde stiegen panisch hoch. Aber während ihr Ehemann aus dem Sattel stieg und die Kutsche zur Umkehr zwang, öffnete Lucille den Schlag, stolperte mit den Kindern hinaus und zerrte die Mädchen zitternd und
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