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Die Karte Des Himmels

Die Karte Des Himmels

Titel: Die Karte Des Himmels
Autoren: Rachel Hore
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weinend in Richtung der Bäume.
    Keinesfalls würde sie nach Madingsfield zurückkehren, in ihr Gefängnis.
    St. John ließ die Zügel des Gespanns fallen und nahm hitzig die Verfolgung auf. Sein Fehler.
    Der Kutscher erkannte seine Chance und drosch mit der Peitsche auf die Pferde ein. Die Kutsche sprang vorwärts, ratterte leer in Richtung Yarmouth. Bloß nicht umschauen, dachte er, geht mich alles gar nichts an. Seinem Auftraggeber würde er erzählen, dass das Liebesvögelchen seine Meinung geändert hatte.
    Am Waldrand verfing sich Lucilles zierlicher Fuß in einem Kaninchenbau. Sie verdrehte sich den Knöchel und stürzte zu Boden. »Lauft weiter, mes petites! «, rief sie, die Augen schmerzgetrübt, sodass sie kaum noch klar sehen konnte. »Versteckt euch!« Sie zog den Beutel mit den Juwelen hervor, vielleicht, weil eine Ahnung sie beschlich, und drückte ihn Amelie in die Hand. »Nimm das und renn los. Ich ... ich werde dich finden. Jetzt lauf doch endlich!«
    Amelie gehorchte schluchzend, ergriff Genevièves kleine Hand, und gemeinsam taumelten sie in den Wald hinein. »Komm mit, Genna, wir spielen Verstecken«, beruhigte sie ihre Schwester, während sie ihr half, sich in einer Art Tunnel im Unterholz zu verbergen.
    Sie hörten einen Schuss, wussten aber nicht, was er zu bedeuten hatte.
    Die Leiche ihrer Mutter sahen sie niemals, und dafür hätte sie der Maria und allen Heiligen gedankt.
    Die Mädchen hörten, wie der Mann, den sie Vater nannten, durch den Wald tobte und ihre Namen rief. Aber sie waren zu verängstigt, um ihr Versteck zu verlassen. Nachdem eine lange, lange Zeit verstrichen war, hörten sie ihn nicht mehr.
    Es wurde dunkel im Wald, sehr, sehr dunkel. In ihrem Versteck schmiegten sich Amelie und Geneviève aneinander, um sich zu trösten und zu wärmen. Nach und nach sanken sie in den Schlaf. Mitten in der Nacht wachte Amelie zitternd auf. » Maman!«, rief sie. Aber es kam keine Antwort. Sie lag eine Weile da und wimmerte, bevor sie wieder in einen unruhigen Schlaf sank.
    Als das kalte Licht der Morgendämmerung durch das Laub drang, wachte sie abermals auf. Sie musste sich erleichtern, löste sich von ihrer immer noch schlafenden Schwester und krabbelte aus dem Versteck. » Maman!«, rief sie. » Maman!« Sie umklammerte den Beutel, den ihre Mutter ihr gegeben hatte. Was auch immer geschehen würde, den Beutel durfte sie nicht verlieren.
    Sie regelte ihre Sache, so gut sie es vermochte, ging dann ein kleines Stück den Pfad hinauf und rief abermals nach ihrer Mutter. Aber ihre Mutter kam nicht, obwohl sie es doch versprochen hatte, und das war überaus beängstigend. War es hier entlang, wo sie sie das letzte Mal gesehen hatten? Amelie stolperte vorwärts, hoffnungsvoll, bog um die nächste Kurve und dann wieder um die nächste. Aber es gab keine Maman . Sie entdeckte einen Strauch mit roten Beeren, pflückte eine und steckte sie in den Mund. Die Beere schmeckte scheußlich. Amelie spuckte sie aus, war aber so hungrig, dass sie noch eine probierte und noch eine und die Beeren einfach hinunterschluckte.
    Sie hörte einen Schrei und erinnerte sich an Geneviève. Also drehte sie sich um, rannte den Weg entlang und hielt links und rechts nach ihrem Versteck Ausschau, konnte es aber nicht entdecken. Dann gabelte sich der Weg, und sie wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte. Wieder ein Schrei. Es musste Geneviève sein, die erwacht war, durchnässt und hungrig und allein. Sie folgte dem Geräusch, konnte es aber nie genau ausmachen. Vielleicht war es auch ein Vogel. Und sie konnte den Tunnel in dem Unterholz nicht mehr finden, in dem sie geschlafen hatten. Schon bald warf sie sich auf den Weg und überließ sich hoffnungslosen Schluchzern, erschöpft und vollkommen verängstigt.
    Der Tag verstrich in einer endlosen Quälerei mit unruhigem Schlaf und grausamem Erwachen. Einmal trottete sogar ein Fuchs in ihre Nähe und schnüffelte an ihr, wie sie da zusammengerollt auf dem Weg lag. Er zog sich zurück, als sie schrie. Ein andermal prickelte ihre Haut, als eine Schlange vorbeiglitt, dann aber unter den Blättern verschwand. Oft rief sie »Maman!« oder » Genna!« , aber als die Stunden verstrichen und die Sonnenstrahlen streifig über das Blätterdach des Waldes zogen, waren ihr die Worte mehr ein tröstendes Mantra, als dass sie noch auf Antwort hoffte. Zu der Zeit, als das Tageslicht schwand, war » Maman « das einzige Wort, an das sie sich noch erinnern konnte, und als sie, bereits halb
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