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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau
Autoren: Fred Vargas
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Buch
     
    »Die Toten gehen nicht fort, wenn sie ihr Leben nicht zu Ende gelebt haben.«
    Das muß sich Jean-Baptiste Adamsberg warnend von seinem Nachbarn sagen lassen, nachdem er ein altes, kleines Haus mitten in Paris erworben hat. Denn in dem Haus spukt es, meint dieser, der Schatten einer unheiligen Nonne aus dem 18. Jahrhundert schlurft des Nachts über den Dachboden. Gehört hat der Kommissar das Geräusch schon, aber was macht ihm das aus, wo er es doch mit viel gegenwärtigeren, brutalen Schatten zu tun hat. Jenem zum Beispiel, der in einer Pariser Vorstadt zwei kräftigen Männern mit einem Skalpell die Kehle durchgeschnitten hat. Eine Abrechnung unter Dealern? Adamsberg ist überzeugt, es war geplanter Mord. Aber beweisen kann er es noch nicht – und dafür läßt man ihm nur zwei Tage Zeit. Was keiner außer ihm sieht: beide haben sie Erde unter den Fingernägeln. Wonach haben sie gegraben, das sie das Leben kostete?
     
    Doch bald steht der Kommissar allein mit seiner aberwitzigen Vermutung, in die ihm keiner mehr folgen will. Und seine aussichtslos erscheinende Recherche um den Doppelmord an der Porte de la Chapelle scheint sich zu einer Tragödie auszuweiten, als auch noch ein verführerischer Gegenspieler in der Brigade criminelle auftaucht und die Dämonen einer weit zurückliegenden Vergangenheit heraufbeschwört.
Autor
    FRED VARGAS, geb. 1957 und von Haus aus Archäologin, lebt im Pariser Stadtteil Montparnasse. Mit ihren neun Romanen seit 1994 ist sie heute die bedeutendste französische Kriminalautorin und eine Schriftstellerin von Weltrang, übersetzt in über 30 Sprachen. Bei Aufbau und AtV liegen in Übersetzung vor:
     
    Im Schatten des Palazzo Farnese
    Die schöne Diva von Saint-Jacques
    Der untröstliche Witwer von Montparnasse
    Das Orakel von Port-Nicolas
    Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord
    Bei Einbruch der Nacht
    Fliehe weit und schnell
    Der vierzehnte Stein
    Vom Sinn des Lebens, der Liebe und dem Aufräumen von Schränken
     
     
    JULIA SCHOCH, geb. 1974, studierte Literatur in Potsdam, Montpellier und Bukarest. Sie lebt als freie Schriftstellerin (»Der Körper des Salamanders«, »Verabredungen mit Mattok«) und Übersetzerin in Potsdam. 2004 Stefan-George-Preis für Übersetzer der französischen Sprache, 2005 Preis der Jury beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt.

1
    Wenn er die Gardine seines Fensters mit einer Wäscheklammer feststeckte, konnte Lucio den neuen Nachbarn besser beobachten. Es war ein kleiner, dunkelhaariger Kerl, der eine Steinmauer ohne Lot hochzog, noch dazu mit freiem Oberkörper im kühlen Märzwind. Nachdem er eine Stunde auf der Lauer gelegen hatte, schüttelte Lucio kurz den Kopf, wie eine Eidechse ihrem regungslosen Mittagsschlaf ein Ende setzt, und löste seine erloschene Zigarette von den Lippen.
    »Der da«, sagte er und gab damit schließlich seine Diagnose ab, »kein Lot im Kopf und keins in den Händen. Der folgt seinem eigenen Kompaß. Gerad wie’s ihm paßt.«
    »Na, dann laß ihn doch«, sagte seine Tochter ohne große Überzeugung.
    »Ich weiß, was ich zu tun habe, Maria.«
    »Vor allem nervst du gern alle Welt mit deinen Geschichten.«
    Der Vater schnalzte mit der Zunge.
    »Du würdest anders reden, wenn du an Schlaflosigkeit leiden würdest. Neulich nacht hab ich sie gesehen, so wie ich dich jetzt sehe.«
    »Ja, das hast du mir erzählt.«
    »Sie ging an den Fenstern im Obergeschoß vorbei, gespenstisch langsam.«
    »Ja«, wiederholte Maria teilnahmslos.
    Auf seinen Stock gestützt, war der alte Mann aufgestanden.
    »Man hätte meinen können, sie warte auf die Ankunft des Neuen, sie hielte sich für ihre Beute bereit. Für ihn«, fügte er hinzu und deutete mit dem Kinn auf das Fenster.
    »Wenn du dem davon erzählst«, sagte Maria, »wird es ihm zum einen Ohr rein- und zum andern wieder rausgehen.«
    »Was er damit anfängt, ist seine Sache. Gib mir eine Zigarette, ich mach mich auf den Weg.«
    Maria steckte ihrem Vater die Zigarette direkt zwischen die Lippen und zündete sie an.
    »Herrgott, Maria, mach den Filter ab.«
    Maria gehorchte und half ihrem Vater in den Mantel. Dann schob sie ein kleines Radio in seine Tasche, aus dem knisternd kaum hörbare Worte drangen. Der Alte trug es immer bei sich.
    »Sei nicht zu grob zu dem Nachbarn«, sagte sie, während sie ihm den Schal richtete.
    »Der Nachbar hat schon Schlimmeres erlebt, glaub mir.«
     
    Adamsberg hatte unter dem wachsamen Auge des Alten von gegenüber
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