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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende
Autoren: Robert Littell
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anscheinend zu dem Schluss, dass sie nichts zu verlieren hatte, denn sie holte tief Luft, zwängte sich seitwärts an ihm vorbei und stieg die Treppe hinauf. Am Eingang zum Billardsaal schaute sie sich um und beobachtete, wie er aus dem Schatten des Treppenhauses auftauchte. Ihr fiel auf, dass er links leicht humpelte.
    »Was ist mit Ihrem Fuß?«, fragte sie.
    »Nerv eingeklemmt. Kein Gefühl.«
    »Ist das in Ihrer Branche kein Handicap?«
    »Im Gegenteil. Kein vernünftig denkender Mensch würde es für möglich halten, dass er von einem Hinkenden verfolgt wird. Das ist zu auffällig.«
    »Trotzdem sollten Sie damit zum Arzt.«
    »Ich bin bei einem chassidischen Akupunkteur und einem haitianischen Herbalisten, aber ich erzähle dem einen nichts vom andern.«
    »Haben sie Ihnen helfen können?«
    »Mm-hm. Einer von beiden – das taube Gefühl hat jedenfalls nachgelassen –, aber ich weiß nicht, wer.«
    Der Anflug eines Lächelns huschte über ihre Lippen. »Sie haben anscheinend das Talent, einfache Dinge kompliziert zu machen.«
    Mit kühler Höflichkeit, die überspielte, dass er kurz davor war, das Interesse zu verlieren, sagte Martin: »Gefällt mir besser, als komplizierte Dinge zu vereinfachen.«
    Die Frau stellte ihre Tasche auf den Boden, zog sich den Regenmantel aus und legte ihn über das Treppengeländer. Sie trug eine maßgeschneiderte Stoffhose und ein Herrenhemd, das von links geknöpft wurde. Martin registrierte, dass die drei oberen Knöpfe offen standen und ein Dreieck blasser Haut sehen ließen. Keine Spur von Unterwäsche. Bei der Feststellung durchfuhr es ihn heiß, vielleicht, so sein Gedanke, zeigten die Bienenstiche ja doch eine gewisse Wirkung.
    Die Frau wandte sich mit einer schwungvollen Drehung von Martin ab und schlenderte in den Billardsaal, wo ihre Augen auf den verblichenen grünen Filz der zwei alten Tische fielen, auf die mit Kreppband zugeklebten Umzugskartons, die in einer Ecke neben der Rudermaschine gestapelt waren, auf den Deckenventilator, der sich so unglaublich langsam drehte, dass er den Raum, den er belüftete, mit seiner Lethargie anzustecken schien. Es war offensichtlich ein Reich, in dem die Zeit sich verlangsamte. »Sie sehen nicht aus wie ein Zigarrenraucher«, sagte sie, als sie den Humidor aus Mahagoniholz mit eingebautem Thermometer auf dem Billardtisch sah, der als Schreibtisch diente.
    »Bin ich auch nicht. Da sind Zünder drin.«
    »Zünder?«
    »Zünder für Bomben.«
    Sie öffnete den Deckel. »Die sehen aus wie Papierpatronen für Schrotflinten.«
    »Zünder und Papierpatronen müssen trocken aufbewahrt werden.«
    Sie warf ihm einen nervösen Blick zu und setzte ihre Inspektion fort. »Sie schwelgen nicht gerade im Luxus«, bemerkte sie über die Schulter, während sie über die weißen Dielen spazierte.
    Martin musste an all die Safe Houses denken, in denen er gelebt hatte, eingerichtet im etwas angestaubten dänischen Wohnstil. Er hatte den Verdacht, dass die CIA Dosenöffner und Saftpressen und Klobürsten palettenweise gekauft hatte, weil es in jeder Wohnung die gleichen waren. »Ich halte es für falsch, bequeme Sachen zu besitzen«, sagte er jetzt. »Weiche Sofas, breite Betten, große Badewannen und so. Wenn eine Wohnung nämlich nichts Bequemes hat, schlägst du auch keine Wurzeln, sondern ziehst immer wieder um. Und wenn du immer wieder umziehst, hast du eine bessere Chance, den Leuten voraus zu sein, die dich einholen wollen.« Mit einem müden Lächeln fügte er hinzu: »Das gilt vor allem für solche wie mich, die humpeln.«
    Die Frau, die jetzt einen Blick durch die offene Tür ins Hinterzimmer warf, sah, dass um die Pritsche herum zerknüllte Zeitungen lagen. »Was sollen die ganzen Zeitungen da auf dem Boden?«, fragte sie.
    Als er sie reden hörte, fiel Martin wieder ein, wie wohltuend musikalisch eine normale Stimme sein konnte. »Das ist ein kleiner Trick, den ich mir aus Der Malteser Falke abgeschaut habe – da hat ein Typ namens Thursby um sein Bett herum Zeitungen verteilt, damit sich keiner an ihn ranschleichen konnte, wenn er schlief.«
    Seine Geduld war allmählich überstrapaziert. »Alles, was ich über das Handwerk des Detektivs weiß, hab ich von Humphrey Bogart gelernt.«
    Die Frau war einmal im Kreis gegangen und blieb jetzt vor Martin stehen. Sie studierte sein Gesicht, konnte aber nicht sagen, ob er sie auf den Arm nahm. Sie hatte Bedenken, einen Detektiv zu engagieren, der seinen beruflichen Erfahrungsschatz aus
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