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Die Känguru Chroniken

Die Känguru Chroniken

Titel: Die Känguru Chroniken
Autoren: Marc-Uwe Kling
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fragen: Wer profitiert denn von der ganzen Sache? Seit den Anschlägen muss man nach jedem Flug eine neue Nagelschere kaufen. Ich habe auch schon direkt am 12. September einen Brief an den Verband der Nagelscherenhersteller geschrieben und ihnen ihre Täterschaft auf den Kopf zugesagt.«
    »Und?«, fragt Schmidtchen.
    »Nun ja«, sagt das Känguru.
    »Keine Antwort ist auch eine Antwort«, sage ich. »Hat meine Mama immer gesagt.«
    »Aber haben Sie jetzt nicht Angst vor denen?«, fragt Schmidtchen.
    »Hält sich in Grenzen, Schmidtchen«, sagt das Känguru.»Bisher ist die Nagelscherenindustrie den Beweis schuldig geblieben, dass man mit ihren Produkten wirklich töten kann. Es gab nur den Fall, wo einer ins Cockpit stürmte und schrie: ›Ändern Sie sofort den Kurs oder ich maniküre Sie!‹ Höhöhö …«
    »Und Sie meinen jetzt also, hinter dem Brand in der Kapelle stecken …«
    »Die Exilkubaner!«, sagt das Känguru. »Die Mafia, die Freimaurer, die Leute, die die Mondlandung im TV-Studio gedreht haben. Was weiß ich! Die Drahtzieher, der cigarettesmoking-man, der dunkle Overlord, die hinterlistigen Hintermänner eben. Der Vatikan!«
    »Der Vatikan?«
    »Ja wissen Sie denn nicht, dass Papst Johannes Paul I. nach nur dreiunddreißig Tagen im Amt intern beseitigt, das heißt vergiftet wurde, weil er die korrupten Machenschaften der Vatikan-Bank aufdecken wollte?«
    »Wirklich?«, fragt Schmidtchen.
    »Und schließlich, Schmidtchen, muss man sich doch auch noch fragen: Welche Rolle spielen dabei die Außerirdischen?«
    »Die Außerirdischen?«
    »Psst«, sagt das Känguru. »Erzählen Sie’s nicht weiter …«
    »Und Goethe«, sage ich.
    »Genau! Der wusste, was die Welt im Innersten zusammenhält, der alte Geheimrat.«
    »Und Sie glauben das alles?«, fragt Schmidtchen.
    »Ich sag mal so«, sagt das Känguru. »Ich glaube, dass der, der an die wildesten Verschwörungstheorien glaubt, näher an der Wahrheit ist als der, der glaubt, dass alles in Ordnung ist. Haben Sie schon mal nachgerechnet, was 23x23 gibt? 666!«
    Schmidtchen denkt.
    »Das stimmt doch gar nicht«, flüstere ich.
    »Psst«, macht das Känguru. »Ich rechne im Hexadezimalsystem.«
    »Aber wo soll ich denn nun suchen, nach den dunklen Hintermännern?«, fragt Schmidtchen.
    »Wo? Sie fragen wo, Schmidtchen?«, fragt das Känguru. »Wo fahren zum Beispiel die Betriebsfahrten der BVG hin? Die Züge, auf denen ›Nicht einsteigen‹ steht? Haben Sie sich das schon mal gefragt, Schmidtchen? Wo landen all die Gepäckstücke, die auf Flügen verloren gehen? Die linken Socken. Die Kugelschreiber. Wohin entschwinden die Gesichter alter, fast vergessener Liebschaften? Dort müssen Sie suchen. Ich hoffe, wir konnten Ihnen weiterhelfen, Schmidtchen.«
    »Sie sind sich also sicher«, fragt Schmidtchen, »dass es sich um ein Kompott handelt?«
    Das Känguru lacht kurz und herzlich auf, dann beherrscht es sich. Mit Rührung blickt es Schmidtchen an. Eine Lachträne kullert seine Wange hinunter. »Ein Kompott«, sagt es kopfschüttelnd. Schließlich räuspert es sich.
    »Ja. Vielleicht handelt es sich hier um ein Kompott. Aber Sie müssen bedenken, mein liebes Schmidtchen, dass es sich bei den meisten Verschwörungstheorien einfach um monokausale Erklärungsmuster handelt, die die historische und gesellschaftliche Komplexität auf ein dem Einzelnen, in diesem Falle Ihnen, verständliches Maß herunterbrechen.«
    »Aha«, sagt Schmidtchen. »Äh …«
    »Oder um mit Slavoj Žižek zu sprechen«, sagt das Känguru, »der Glaube an Verschwörungen ist geradezu paradigmatisch für die Suche nach dem imaginären ›großen Anderen‹, nach dem göttlichen Puppenspieler, den Nietzsche für tot erklärt hat. Verstehen Sie?«
    »Ja«, sagt Schmidtchen. »In die Richtung hatte ich auch schon gedacht.«
    »Natürlich«, schmeichelt das Känguru. »Sie, ein Mann von Welt … Doch schließlich lassen Sie mich noch anmerken, dass viele Verschwörungen sogar bewusst und mit böser Absicht erfunden wurden, um andere zu verunglimpfen. Denken Sie an die Protokolle der Weisen von Zion. Die hat der Geheimdienst von Zar Nikolaus II. zusammengeschustert. Da steht zum Beispiel, die Juden hätten in den großen Städten Untergrundbahnen gebaut, um diese in die Luft sprengen zu können. Und Hitler hat das natürlich geglaubt.«
    »Also gibt es in Wahrheit doch keine Verschwörung.«
    »Na ja«, sagt das Känguru. »Wer weiß … Denken Sie an die Bilderberg-Konferenzen. Da
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