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Die Känguru Chroniken

Die Känguru Chroniken

Titel: Die Känguru Chroniken
Autoren: Marc-Uwe Kling
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tagsüber immer zu Hause und – ohne Ihnen jetzt zu nahe treten zu wollen – es ist 13 Uhr, und Sie sind immer noch im Pyjama.«
    »Ich bin, äh, na ja, äh, irgendwie, äh, Künstler«, sage ich. »Ich arbeite nachts.«
    »Anschaffender Künstler?«, fragt das Känguru.
    »Freischaffend heißt das«, sage ich.
    »Ach so.«
    »Ich schreibe Geschichten und Lieder, und dann trete ich auf und …«
    »Ach! Sie sind Kleinkünstler!«, sagt das Känguru.
    Ich zucke zusammen: »Ah! Das böse Wort.«
    »Kleinkünstler?«
    Wieder zucke ich zusammen.
    »Kennen Sie das Tocotronic-Lied: ›Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst‹?«, fragt das Känguru.
    »Ja«, sage ich. »Mag ich nich.«
    »Verstehe.«
    »Und Sie?«, frage ich. »Was machen Sie?«
    »Ich bin Kommunist«, sagt das Känguru.
    »Ach so.«
    »Was dagegen?«
    »Nee, nee.«
    Das Känguru blickt mich herausfordernd an.
    »Trotzki?«, frage ich.
    »Ho Chi Minh«, sagt das Känguru. Es deutet auf die Packung auf dem Tisch. »Was ist denn das?«
    »Schnapspralinen«, sage ich.
    »Darf ich?«
    »Bitte. Mag ich sowieso nicht.«
    Es wirft sich zwei Pralinen in den Mund.
    »Köstlich!«, ruft es. »Auch welche?«
    »Nee. Mag ich nicht. Haben Sie nicht zugehört?«
    »Offensichtlich nicht«, sagt das Känguru. »Denken Sie nicht mit?«
    »Nein. Nie«, sage ich. »Ich lebe nach der Devise: Lieber fünf Mal nachgefragt als einmal nachgedacht. Haben Sie nicht zugehört?«
    Das Känguru nimmt sich noch eine Praline.
    »Kleinkünstler also …«, sagt es und lacht kurz auf. »Hier sind wir jetzt – unterhalte uns!«
    »Machen Sie das öfter?«, frage ich.
    »Sie meinen: Zitieren?«
    »Ja.«
    »Wollen wir uns duzen?«, fragt das Känguru.
    »Von mir aus«, sage ich.
    »Ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.«

Das Känguru hat mich für neun Uhr zum Essen eingeladen. Vielleicht will es sich dafür revanchieren, dass es meinen Kühlschrank geplündert hat, vielleicht hofft es auf eine Plakette für eine vorbildliche sozialistische Hausgemeinschaft. Als ich um fünf nach neun zur Tür reinkomme, hat das Känguru schon angefangen zu essen.
    »Du bist spät«, sagt es mit vollem Mund.
    »Ich mag alles außer Fisch«, hatte ich gesagt, als es mich eingeladen hat.
    Es gibt Fischstäbchen.
    »Ich ess keinen Fisch«, sage ich.
    »Kannste ruhig essen«, sagt das Känguru. »Is eh Hähnchen.«
    »Was?«, frage ich.
    »Is alles Hähnchen«, sagt das Känguru. »Fischmac, Schweineschnitzel, Rindergulasch: alles Hähnchen.«
    »Alles Hähnchen?«, frage ich.
    »Ja, außer Chicken Nuggets«, sagt das Känguru.
    »Chicken Nuggets?«
    Ich muss unbedingt damit aufhören, immer nur stupide die letzten Worte des Kängurus zu wiederholen.
    »Chicken Nuggets sind panierter Tofu«, sagt das Känguru.
    »Panierter Tofu?«, frage ich. Verdammt.
    »Jetzt setz dich und iss dein Geflügel, Junge«, sagt das Känguru.
    »Wen hast’n gewählt?«, frage ich beim Essen. Es hatte gerade eine Wahl für irgendwas stattgefunden.
    »Ich hab nicht gewählt«, sagt das Känguru.
    »Darfste nicht?«, frage ich.
    »Ich darf nicht und ich will nicht«, sagt das Känguru.
    »Du willst nicht?«, frage ich.
    »Ja. Weil das gar keine Wahl ist«, sagt das Känguru. »Das ist nämlich nur ein Demokratietrugbild, eine Abstimmungsattrappe, eine Volksherrschafts-Fata-Morgana. Kurz gesagt: nur der Schein einer Wahl, oder, um den offiziellen Terminus zu verwenden: ein Wahl schein .«
    »Ein Wahlschein?«, frage ich.
    »Das ist, als ob du in den Supermarkt gehst und da wählen kannst zwischen der Tütensuppe von Maggi und der Tütensuppe von Knorr, aber in Wirklichkeit ist alles Nestlé. Der Wahlschein suggeriert Freiheit, aber in Wirklichkeit sage ich dir: Alles Kapitalismus, alles Nestlé, alles Hähnchen. Da ich nun aber generell keine Tütensuppe essen will, ist mir die Markenwahl im Supermarkt eben schnurzpiepe.«
    »Schnurzpiepe?«, frage ich. »Wie meinst’n des?«
    »Hast du ’nen Defekt?«, ruft das Känguru. »Plapperste immer alles nach? Auch was die Herolde des Tütensuppen-Totalitarismus auf allen Frequenzen verkünden: ›Tütensuppen sind alternativlos! Tütensuppen sind alternativlos!‹ Das ist so eklig.«
    »Hm. Weißte, was echt ekelig ist?«, frage ich und halte ein labberiges Fischstäbchen in die Höhe. »Das hier.«
    »Ach was«, sagt das Känguru pampig. »Damals beim Vietcong haben wir das jeden Tag gegessen. Nur ohne Panade.«
    Ich blicke es fragend
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